: Hans Hartung, französischer Soldat und Maler
■ Zum Tod des souveränen abstrakten Malers aus Leipzig
Es wäre nicht verwunderlich gewesen, hätte er das Jahr 2000 noch gesehen: Hans Hartung, ein Mann von fast beängstigendem Willen, ein höchst eigenwilliger Stilist. In Leipzig und Dresden, wo er in gutbürgerlichen Verhältnissen aufwächst, arbeitet er sich noch als Gymnasiast frei von expressionistischer Figürlichkeit. Erst später erfährt er, daß ein Kandinsky den Weg schon gebahnt hatte, den Hartung selbst fand. Aber da ist Kandinsky schon abgebogen zur Geometrie. Und die irgendwie aussichtslose Strenge des Bauhauses ist es wohl, die Hartung an der alten „Akademie der Schönen Künste“ in Leipzig festhalten läßt: Hartung geht den freien Weg, nicht der Theorie vertrauend, sondern seiner überaus genauen Hand.
Hartung sucht die Öffnung: fährt mit dem Fahrrad nach Frankreich und Italien, heiratet 1929 die norwegische Malerin Anna-Eva Bergman, die er in Paris getroffen hat, und hat sich gerade auf den Balearen ein Häuschen gebaut, als ihm sein Guthaben gesperrt wird: Die Nazis sind an der Macht. Hartung schlägt sich in Paris durch, lebt und arbeitet bei Freunden, die Ehe hält die Belastung nicht aus. Auf der Seite Frankreichs meldet er sich zum Krieg, kämpft in Afrika und im Elsaß und verliert dort ein Bein.
Sein Leben ist schon halb vorbei, als Hans Hartung endlich eine Chance bekommt, und als Hauptvertreter des „Informel“ hat der Zeichner, Maler und Lithograph Erfolg. Im Vergleich zu den Franzosen ist er streng; im Vergleich zu den deutschen Abstrakten leicht. Am bekanntesten werden jene sich zu „Gittern“ akkumulierenden dunklen Striche, die vor einem schwach erleuchteten Hintergrund schweben (Ölbilder), und die Zeichnungen, in denen sich drei oder vier Akkumulationen unterschiedlicher Grundformen miteinander verhaken. Aber Hartung probiert auch die Umkehrung, helle Zeichen auf dunklem Grund, und beginnt in den Siebzigern mit der Spritzpistole zu experimentieren. Diese Technik ermöglichte ihm weiterzuarbeiten, als er in den letzten zwei Jahren im Rollstuhl saß: Hartung sprühte grelle Fontänen in meist nicht mehr als zwei Farben, deren Begegnung und Kreuzung vor weißem Hintergrund er wie ein Experiment vorführte. Im handwerklichen Sinne „schön“, wie die in den letzten Jahren sehr teuren Arbeiten aus den Fünfzigern und Sechzigern, waren die neuen Riesenbilder nicht mehr. Mit Neugier und Disziplin hatte Hartung sich von der dekorativen Macht seiner Handschrift befreit. Fast immer hat Hartung den Auftrag mit der Bildfläche verschmolzen, nie betrieb er das tiefsinnige Gerühre im Pigment, wie es in Deutschland düstere Kunst später Reue - groß in Mode war. Hartung war manchmal gefällig, meist aber von stilsicherer Eleganz.
Bereits im Jahr 1953 hatte Hartung in Paris - seit Kriegsende französischer Staatsbürger - ein Atelier mit seiner Ex-Frau bezogen. Mit ihr ging er Anfang der siebziger Jahre ins südfranzösische Antibes, wo er sich ein prächtiges Atelierhaus baute. Dort empfing er neben dem französischen Präsidenten Mitterrand etliche staunende Verehrer, denen er mit kernigen Sprüchen wie „Man muß wissen, was man will“ oder „Was für mich zählt, ist die Bewegung“ das Geheimnis seiner Meisterschaft anvertraute. Ein schwerer Verlust, heißt es, sei der Tod seiner Lebensgefährtin vor zwei Jahren gewesen.
Schon bald nach dem Krieg gehörte Hartung zu den Großen jener Zeit, gezeigt in Hunderten von Galerien, auf der ersten „Documenta“, 1955, auf der Biennale in Venedig, 1960. Noch 1972 war Hartung in mehreren Dutzend großen Ausstellungen vertreten, er wurde mit kulturpolitischen, politischen und militärischen Auszeichnungen in Frankreich, aber auch in Deutschland überhäuft. Wenn auch sein aktueller Einfluß während der Zeit der fotorealistischen und später der neuen figürlichen Malerei zurückging, war er in Paris doch immer gegenwärtig. Seit dem Sommer, berichten die Agenturen, bereitete er eine große Retrospektive vor, die in Leipzig gezeigt werden soll, wo Hans Hartung 1904 zur Welt kam. 85jährig ist er in der letzten Woche in Antibes gestorben.
Ulf Erdmann Ziegler
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