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Chiles Wahlsieger schon zerstritten

Linke und gemäßigte Linke sind enttäuscht: Nur Christdemokraten profitierten vom Bündnis / Heftige Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten nach Wahlfeiern / Aylwin will Militär trotzen  ■  Aus Santiago Gaby Weber

Es war mehr Wut als Begeisterung über das Wahlergebnis, als am Freitag mittag einige hundert Jugendliche vor den Sitz des frischgewählten Christdemokraten Patricio Aylwin zogen und den Verkehr kurzerhand lahmlegten. Die Polizei schlug los, und das Fazit waren zehn Verletzte und über 60 Festnahmen. Einige hundert Meter entfernt, vor dem Gefängnis, wurde mit Parolen und Spruchbändern für die sofortige Freilassung der politischen Gefangenen demonstriert. Es gab regelrechte Straßenschlachten zwischen Polizei und Demonstranten. In Vina del Mar versuchte die Menge, die Zentrale des immer noch operierenden Geheimdienstes CNI zu besetzen. Die Polizei schoß, und ein Demonstrant wurde schwer verletzt.

Auch andernorts im Land kam es im Anschluß an Alwyn-Feiern zu Auseinandersetzungen: In der Stadt Temuco, 800 Kilometer südlich von Santiago, starb eine Frau unter ungeklärten Umständen. Über 600 Menschen wurden insgesamt festgenommen.

Wahlsieger Alwyn gab sich inzwischen entschlossen: Die Armee unterstehe dem Präsidenten, er werde sich nicht vom Militär hineinregieren lassen, sagte er auf einer Pressekonferenz. Armeechef Pinochet, laut Verfassung bis 1998 im Amt, erkannte Alwyns Wahlsieg zwar an, betonte aber, das Militär werde genau auf die „institutionelle Ordnung“ der Pinochet-Diktatur pochen.

Das mühsam zusammengezimmerte Oppositionsbündnis „Demokratische Übereinkunft“ indes gab schon 24 Stunden nach Schließung der Urnen seinen Geist auf. Tiefe Enttäuschung macht sich bei den Linken, den radikalen wie den gemäßigten, breit, nachdem bekannt wurde, wie viele Stimmen auf die einzelnen Listen entfallen waren und welche Politiker den Sprung in den Kongreß geschafft hatten. Von dem Bündnis hatten praktisch nur die Christdemokraten profitiert: Auf Politiker ihrer Partei, die sich auf den Listen um ein Amt im Kongreß beworben hatten, waren überraschend viele Stimmen entfallen. Nicht gewählt hingegen wurde der PPD-Chef Ricardo Lagos; der Christdemokrat Andres Zaldivar hatte ihn auf derselben Liste der „Übereinkunft“ knapp übertrumpft. Während auf Lagos wahrscheinlich ein Ministerposten in der künftigen Regierung wartet, gehen der gemäßigte Sozialist Erich Schnake und der Radikale Anibal Palma leer aus. Nicht gewählt wurden der Präsident des marxistischen Koalition PAIS, Luis Maira, wie die Sozialistin vom Almeyda-Flügel, Maria Elena Carrera, sowie die angesehene KP-Politikerin Fanny Pollarolo. Landesweit erlangte die Liste der PAIS nur zwei Abgeordnetensitze, auf die KP entfiel kein einziger Sitz. „Ein Denkzettel für die Kommunisten für ihre Politik der letzten Jahre“, so Lagos und Aylwin unisono. Insgesamt hat die (gemäßigte) Linke nur sechs Senatoren und 26 Abgeordnete. Mit dem Wahlergebnis sind künftige Verfassungsreformen kaum durchzusetzen. Insgesamt brachte es die Opposition auf 71 Abgeordnete (von 120) und 22 Senatoren. Da sich zu den 38 gewählten Senatoren die neun noch von der Pinochet-Regierung designierten Senatoren hinzugesellen, ist die Opposition im Senat in der Minderheit. Aylwin wird also in Zukunft gegen einen von Pinochet-Anhängern dominierten Senat regieren müssen.

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