: Ein Gedankenstrich für die Gegenwart
Der SED-Parteitag kann sich nicht entscheiden ■ K O M M E N T A R E
Fast alles an diesem Parteitag war provisorisch. Die SED hat versucht, den Anschluß zu gewinnen an die Dynamik gesellschaftlicher Entwicklung und ist dabei etwas durcheinander geraten. Der politische Gehalt dieser Veranstaltung wurde in dem Beschluß über den neu-alten Namen treffend zusammengefaßt: SED-PDS (Partei des demokratischen Sozialismus) - Vergangenheit und Zukunft zusammengebunden durch einen Gedankenstrich für die Gegenwart. Zusammengebunden wurden damit aber auch Parteiführung und Parteibasis, denn die neue Führung ist in ihrer - durchaus glaubwürdigen - Abrechnung mit der Vergangenheit und der Orientierung auf das Zukunftsmodell eines demokratischen Sozialismus vielen Parteimitglieder wohl doch etwas zu radikal. Dieter Klein hat in seinem Referat über die „Neuformierung einer modernen sozialistischen Partei“ eine treffende Begründung dafür gegeben, warum es unmöglich wäre, jetzt schon ein neues Programm zu verabschieden: „Weil es ein wahres und auch höchst verdächtiges Wunder wäre, wenn wir nach diesem Bruch und mitten in diesem Bruch, den wir jetzt vollziehen, nun alle urplötzlich eine einheitliche Meinung darüber hätten, wie der Sozialismus auszusehen hat...“
Doch ob es mit dieser Breitbandpolitik tatsächlich gelingt, den Zerfall der Partei zu stoppen, ist mehr als ungewiß. Wahrscheinlicher ist, daß nicht nur Karrieristen und Stalinisten die Partei nun verlassen werden, sondern auch viele engagierte Reformer, denen all das nicht schnell und vor allem nicht entschieden genug geht. Und schließlich werden auch viele von jenen resignieren, die glauben, auf eine klare „Orientierung von oben“ nicht verzichten zu können, und diesen Berliner Intellektuellen in der neuen Führung sowieso nicht über den Weg trauen.
Zugleich hat der Parteivorsitzende in seinem Referat die SED-PDS zur „Wahlkampfpartei“ erklärt. Die Linie seiner Zielvorgaben war schier endlos, und doch ist die Stoßrichtung einigermaßen klar: Die SED-PDS wird versuchen, Dämme zu bauen gegen die Vereinigungswünsche, die, von unten kommend, inzwischen fast alle anderen Parteien und Gruppierungen erfaßt haben. Sie wird sich als die Partei der Zweistaatlichkeit „positionieren“. Dabei wird sie einerseits die Ängste vor einem Verlust sozialer Besitzstände für sich zu nutzen suchen, andererseits die Befürchtungen der europäischen Nachbarn der beiden deutschen Staaten als Beleg für die Richtigkeit ihrer Politik reklamieren. Doch das allein wird nicht dafür ausreichen, im Wahlkampf eine dominierende Rolle zu spielen, wenn es in den nächsten Wochen nicht gelingt, die programmatische Wende an der Parteibasis innerlich zu verarbeiten.
Walter Süß
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