: PERSIL BLEIBT PERSIL
■ Eine Diskussion zur Kultur im europäischen Binnenmarkt
Europa findet im Bauwagen statt, wenn darüber diskutiert wird, welche Auswirkungen die Vollmitgliedschaft der Türkei in der EG haben wird. Europa artikuliert sich seit 1985 in seinem Kulturstädtetaumel. Europa versucht seine Identität in Übersetzungstreffen und im Feuilleton zu finden. Abgrenzen will man sich gegen die Medienoffensive der Amerikaner durch Quotenregelungen oder Europäische Filmpreise.
In der taz gibt es zwei Sparten, wo über Europa geredet wird: das Feuilleton - da geht's meist um das Für und Wider und Ob einer europäischen Identität - und die Wirtschaftsseiten. Aber eigentlich interessiert es kaum jemanden.
Daß das „Europa der Zwölf“, der europäische Binnenmarkt in erster Linie ein Wirtschaftsprojekt ist, das „möglicherweise, wahrscheinlich auch“ (Otto Schily) sich auf den Kulturbereich auswirken wird, darüber war man sich am Donnerstag bei der vom Deutschen Werkbund veranstalteten Podiumsdiskussion „Der europäische Binnenmarkt 1992 - ein kulturelles Projekt?“ in den „ungemein opulenten“ (Günther) Räumen des Wissenschaftszentrums einig. Im „hochkarätig besetzten Podium“ (Angelika Günther, Werkbund) diskutierten: Otto Schily, SPD; Volker Hassemer, Ex-Kultur; Anke Martiny, Jetzt-Kultur; Steve Austen, Internationale Culturele Stichting/Amsterdam; Olaf Schwencke, Studienleiter der evangelischen Akademie Loccum, MdB usw. und Michael Haerdter vom Künstlerhaus Bethanien. Die drei letzten sind auch Herausgeber des Jahrbuchs für europäische Kulturpolitik Kultur Markt Europa; ein umfangreicher Reader, der wenn schon keine Lösungen vorgeben, so doch Ursachen und Probleme europäischer Kulturpolitik deutlich machen kann.
Die Bedeutung des europäischen Binnenmarkts läßt sich vielleicht am besten mit einem Zitat des zuständigen EG -Kommissars Martin Bangemann verdeutlichen. „Der Binnenmarkt ist die Entdeckung Europas 1992, so wie 1492 Amerika entdeckt wurde“, hat Martin Bangemann erklärt, ohne wahrscheinlich zu wissen, was dieser Vergleich implizieren könnte. „Denn“, so Olaf Schwencke, „die Eroberung des Kontinents Amerika vor fünfhundert Jahren durch die fremden europäischen Mächte war der Anfang der Zerstörung der Kulturen seiner Einwohner.“
Die Politiker folgten auf kompliziertere Weise dem Primat der Wirtschaft, indem sie darstellten, daß eine Kulturpolitik, die sich gerade nicht der Wirtschaft unterordnen würde, dieser um so besser dienen könnte. Anke Martiny erklärte z.B., daß der wirtschaftliche Vorteil der EG gegenüber Europa schon rein zahlenmäßig - 320 Millionen Europäer gegen 240 Millionen Amerikaner - evident sei. Noch besser mit „diesem europäischen Binnenmark“ könnten wir „im Weltmarktgezerre“ landen, wenn wir uns nicht nur auf unsere wirtschaftliche Stärke, sondern auch auf unsere Kultur - und der Markt sei schließlich auch Kultur - berufen würden. Volker Hassemer stellte sich zwar „ein Mehr“ als nur „ein Europa der Händler, Produzenten und Touristen“ vor, sieht dieses Mehr aber gerade durch seine Wirtschaftlichkeit legitimiert: „Kultur ist unglaublich wirkungsvoll, in allen Bereichen des Lebens und deshalb auch in der Wirtschaft.“ Schily schließlich, der sich in allen Fragen einig mit Hassemer weiß, befürchtet vor allem Subventionen, denn die führten nur zur „Verwerfung“. Gegen eine Aufhebung der Buchpreisbindung hat er nichts einzuwenden.
Euphorie sei, so Olaf Schwencke, nicht angebracht, denn auch die Kulturbeschwörung diene zur Legitimation dieses Projekts. Europäische Kulturpolitik folge in erster Linie wirtschaftlichen Interessen, kritisierten die Kulturbuchherausgeber. Ob es dabei um den europäischen Filmpreis geht, der als Oscar-Pendant europäische Filme gegenüber den amerikanischen konkurrenzfähig halten soll, so aber der Gefahr unterliegt, sich dem amerikanischen Vorbild anzupassen - filmische Großprojekte werden jetzt schon vor allem in englisch gedreht, auch wenn sie aus den Niederlanden kommen - oder um die Metropolenkultur, die die regionalen Kulturen an den Rand drängen und wie die Kulturhauptstadt Europas eher zur Selbstrepräsentation und zur Wahrung und Vergrößerung von Standortvorteilen dienen würden. Die Gefahr einer Nivellierung droht allerorten; die Kleinen werden an den Rand gedrängt, weil die parlamentarischen Institutionen der EG auf der Basis von Bevölkerungsquantitäten operieren.
Während die Kulturbuchherausgeber Normsetzungen und Kulturschutz auch Subventionen forderten - „Subvention ist nicht mehr als eine Einmischung in den Markt, damit eine gewisse Qualität existiert“ (Austen) -, gerade um der kleinen Kultur willen forderten, sieht Hassemer durch zuviel administrative Maßnahmen den „freien Verkehr von Umsatz und Kommunikation“ gefährdet. Kultur entstehe ohnehin nur durch's Tun. Dieses Tun müsse allerdings durch ein Mehr an kulturellem Austausch gefördert werden. Pathetisch forderte er einen Aufschrei der Künstler und Macher, die noch viel zu defensiv seien, denn schließlich ginge es um ihre Sache.
Der offensive Kulturmacher stand also dem defensiven Kulturverteidiger und -schützer gegenüber. Während Martiny Naturschutzparks fürs Kulturelle forderte, forderte Hassemer den lautstarken Protest. Kultur ist ohnehin immer dezentral, meinte Schily, während die Kulturbuchmacher auf eine Unterstützung dieser Dezentralität setzten.
Ein Europa wünschte sich Michael Haerdter, das aussehen würde wie die Topographie von Manhattan, die ein amerikanischer Soziologe von Jugendlichen aufzeichnen ließ „mit den besonderen Wegen, Treffs, Bezugspunkten, Schlupfwinkeln usw., und dabei verschwand das rechtwinklige, geometrische Manhattan, und es entstand ein chaotisches neues Manhattan; ein scheinbar chaotisches Netzwerk: Passagen, Mauern, Schuppen alles bezogen auf ein Gasometer außerhalb der Stadt“. So könnte, wünschte sich Haerdter, die zukünftige Topographie Euopas gegen die Geometrie der Wirtschaft einmal aussehen. Und Martiny wünschte sich nicht nur europäische Identität, sondern auch ein schönes „Berlin bleibt Berlin“, denn „Dash ist nicht Persil“.
Detlef Kuhlbrodt
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