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Kohl macht Ungarn Mut

■ Im Budapester Parlament lobt er den Sparkurs der Regierung Nemeth und schwört deutschlandpolitischen Alleingängen ab

Budapest (afp) - Die Bundesregierung wird Ungarn nach den Worten von Helmut Kohl vor der Nationalversammlung in Budapest auf seinem Reformweg mit Rat und Tat unterstützen. Kohl lobte das rigorose Sparprogramm der Regierung Nemeth, über das nach Kohls Rede debattiert wurde und mit dem Nemeth die Vertrauensfrage verbunden hatte. Kohl sprach sich für baldige Verhandlungen über die Abschaffung der Visapflicht aus. Gleichzeitig erteilte er mit Blick auf die deutsche Frage deutschen Alleingängen oder Sonderwegen sowie einem „rückwärtsgewandten Nationalismus“ eine klare Absage: „Die Zukunft aller Deutschen heißt Europa.“

Kohl sagte, im Hinblick auf die unpopulären Maßnahmen der Regierung Nemeth, die dem einzelnen Opfer abverlangten und deren Erfolg sich erst mittel- oder langfristig einstellen könne, könne sich Ungarn auf die „Freunde im Westen und insbesondere auf die Deutschen verlassen.“ Es spiele eine entscheidende Rolle, daß sich Ungarn bald mit dem Internationalen Währungsfonds auf ein tragfähiges Anpassungsprogramm einige, über das das Parlament mitentscheide. Er wolle sich nicht einmischen, bat aber, seinen Rat als den eines Freundes anzunehmen: „Öffnen Sie durch mutige und weitsichtige Beschlüsse endgültig die Tür auch zur strukturellen Erneuerung Ihres Landes.“ Die EG habe mit ihrer Absicht, Ungarn einen mittelfristigen Strukturanpassungskredit in Höhe von einer Milliarde US -Dollar zu gewähren, bewiesen, daß sie Budapest in einer schwierigen Übergangsphase von der Plan- zur Marktwirtschaft beistehen wolle. Über bestimmte Formen der Assoziierung könne man verhandeln.

Die Entwicklung in der DDR - so Kohl - belege, daß eine geschichtlich gewachsene Nation nicht „künstlich zerschlagen werden kann und darf“. Eine Politik, die dies versuchte, wäre nach seinen Worten „unhistorisch, unglaubwürdig und ungerecht - sie könnte keine Zukunft haben“. Unhistorisch und unglaubwürdig wäre aber auch die Behauptung, es gehe nur die Deutschen an, ob und wie sie über ihr Schicksal frei bestimmten, ob sie ihren Weg mit oder gegen ihren Nachbarn gingen. „Die Antwort der Deutschen in der Bundesrepublik war von Anfang an europäisch und wird europäisch bleiben“, betonte der Kanzler. Die künftige Architektur Deutschlands solle in die Europas eingebettet sein, „und damit meine ich nicht nur die Europäische Gemeinschaft, sondern das ganze Europa, wie es sich insbesondere in der KSZE ausprägt“. Dabei werde jede Entscheidung der DDR-Bürger - wie immer sie ausfalle - respektiert. Er fahre jetzt erst einmal mit Optimismus zu seinem Besuch in der DDR zu Ministerpräsident Modrow nach Dresden, sagte Kohl anschließend auf einer Pressekonfernz.

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