piwik no script img

Traditions-Imperialismus

■ Die Genossen feiern die Wiedervereinigung der Sozialdemokratie / Die SPD will die Zusammenarbeit mit der DDR-Schwesterpartei SDP „auf allen Ebenen“

Eine unauffällige, aber auf den zweiten Blick hin zwingende Symbolik beherrscht den Parteitag: ein kleines rotes Quadrat links oben (im Westen gewissermaßen) und ein großes rotes Quadrat rechts unten (im Osten also) mit den Buchstaben „SPD„; dazwischen der Brandt-Spruch aus Rostock - „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“. Was? Nun, die Sozialdemokratie in Ost und West. Es ist ein Einigungsparteitag, der Berliner Parteitag. Ein Parteitag, der unverhohlen als Auslöschung der SED-Gründung 1946, der „Gefangennahme“ (Willy Brandt) der Sozialdemokratie dekretiert wird. „Die deutsche Sozialdemokratie ist wieder da - in Deutschland“, sagte Brandt.

Im Stil der teutonischen Walze wird der sozialdemokratische Traditionszusammenhang beschworen. Bei aller Relativierung des Wortes „Wiedervereinigung“ wurde die Wiedervereinigung der Sozialdemokratie jedenfalls gefeiert. Die SDP, die „Schwesterpartei“ (Vogel), ist der lebende Beweis dieses Traditionszusammenhangs. Ignoriert wurde von Vogel und auch von Brandt gänzlich, welche tatsächliche, nämlich nicht sehr bedeutungsvolle Rolle die SDP in der DDR-Revolution gespielt hat; ignoriert wurden auch die eher tonlosen Hinweise des SDP-Redners Meckel auf die Eigenständigkeit der SDP. Es war Vogel und nicht Meckel, der anschließend verkündete, daß die SDP sich demnächst in SPD umbenennen werde. Der Beginn einer „neuen Epoche der Menschheitsgeschichte“, den Vogel beschwor, wurde gar von ihm selbst „zur Stunde der Sozialdemokratie“ erhoben. Herta Däubler-Gmelin gar brachte es fertig, vom Godesberger Programm 1959, das „Wandlungen in Ost-Europa“ ansagte, bis zum „Wir sind das Volk“ von 1989 eine direkte Linie zu ziehen.

Angesichts dieses doch frappierenden sozialdemokratischen Traditions-Imperialismus gerieten dann Jochen Vogels Erklärungen, man werde den „Willen der DDR-Bevölkerung respektieren“, eher dünn. Auch die Betonung auf die gegenwärtigen deutschlandpolitischen Optionen, die bei allen Rednern auf Soforthilfe („Einander beistehen ist erste Bürgerpflicht“, Brandt), auf Stabilisierung der DDR -Entwicklung, auf die Konföderation selbständiger deutscher Staaten, kontrastiert zur dieser vollmundigen Traditionsbeschwörung. Bei Jochen Vogel ging es gar soweit, die Gründung der SPD-Ost zum Ziel der DDR-Revolution zu erheben.

An diesem Punkt fragt es sich, wieweit, mit welcher Absicht die SPD in der DDR intervenieren wird. Engagement im DDR -Wahlkampf ist ganz selbstverständlich: Zusammenarbeit mit der SDP „auf allen Ebenen“, d.h. insbesondere auf der materiellen. Den anderen „Reformgruppen“ in der DDR wird bestenfalls Kontakt angeboten. Selbst Walter Momper, dessen deutschlandpolitische Position sich von der Vogels deutlich und wohltuend unterschied, bietet den oppositionellen Gruppen in der DDR nur „Sympathie“ und „Solidarität“ an. Der SDP gilt jedoch die Wahlkampfhilfe, denn „es geht um die Weichenstellung zwischen sozialdemokratischer und konservativer Politik“. Eine Formel der ungebremsten Intervention, aus der doch die Angst vor dem DDR-Wahlkampf als vorgezogenen Bundestagswahlkampf vorscheint.

Einen weiteren Grund für die Intervention, d.h. dafür, daß die Sozialdemokratie auf jeden Fall in prima persona in der DDR-Innenpolitik präsent sein muß, nannte Willy Brandt: „Die Einheit von unten wird weiter wachsen und einen politischen Ausdruck finden - auch wenn dies noch einige eingeübte Statusdiplomaten aufscheuchen mag.“

Nur eines könnte die Stunde der „deutschen Sozialdemokratie“ in Frage stellen: ein wirklicher Reformprozeß der SED. Bei Vogel findet er gar nicht statt. Brandt setzte sich immerhin damit auseinander, nannte die „Mutationen“ „löblich“, mahnte aber die „jüngeren Leute“, die „die Konkursverwaltung der SED“ übernommen haben, doch mit deutlichem Zeigefinger: „An Gedächtnisschwund leiden wir auch nicht.“

Klaus Hartung

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen