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„Deutsche müssen einander beistehen“

Willy Brandts Rede zur Einheit prägte den ersten Tag des Berliner SPD-Parteitags / „Wie wir Deutschen unsere inneren Probleme lösen, dazu brauchen wir kaum noch auswärtigen Rat“ / SDP betont Selbständigkeit  ■  Aus Berlin Klaus Wolschner

Der Ausspruch Willy Brandts „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“, stand gestern im Congreß-Centrum ICC als Motto über dem Berliner Programm-Parteitag der bundesdeutschen SPD. Und Willy Brandts Rede stand im Zentrum der Annäherung der Partei an eine Befürwortung der deutschen Neuvereinigung: „Einander beistehen ist jetzt der Deutschen erste Bürgerplicht“, versuchte Brandt einen neuen populären Leitsatz.

Berlins Bürgermeister Momper hatte in seiner Eröffnungsrede die 441 Delegierten noch aufgefordert, soziale Probleme ins Zentrum der anstehenden Wahlkämpfe zu stellen und sich nicht der Fragestellung der CDU „Bist Du für oder gegen Wiedervereinigung?“ zu unterwerfen. Diese Frage „beantworte nichts von dem, was den Menschen wichtig ist“, sagte Momper unter starkem Beifall. Gleichzeitig räumte er ein, die zehn Punkte Kohls beschrieben eine „überwiegend richtige Deutschlandpolitik“.

Der amtierende SPD-Vorsitzende Vogel - im Sinne des Leitantrages des SPD-Präsidiums - meinte, eine „Konföderation“, also ein Staatenbund mit gemeinsamen Organen, sei bei bestehenden Militärblöcken möglich, und alle praktischen Fragen seien innerhalb dieses Rahmens lösbar. „Wer den Weg zur staatlichen Einheit freimachen will, muß die Allianzen schrittweise entmilitarisieren und dann in einer gesamteuropäischen Friedensordnung aufgehen lassen.“

Dieser Logik widersprach Brandt sehr deutlich. „Nirgends steht auch geschrieben, daß die Deutschen auf einem Abstellgleis zu verharren haben, bis irgendwann ein gesamteuropäischer Zug den Bahnhof erreicht.“ Brandt muß geahnt haben, daß die Delegierten diesen Satz mit Schweigen quittieren würden. Er fuhr, getreu nach seinem Redemanuskript, fort: „Allerdings gebe ich gern zu, daß beide Züge, der gesamteuropäische und der deutsche, bei ihren Fahrten vernünftig zu koordinieren sind. Wer hätte etwas davon, wenn sie irgendwo auf der Strecke zusammenstießen?“ Der Eindruck, daß „ein deutsches Haus“ nicht zwei Militärbündnisse „beherbergen“ könne, sei eine „Momentaufnahme“, meinte Brandt. Die Bündnisse seien dabei, ihren Charakter zu ändern.

Brandt unterstrich das Selbstbewußtsein der Deutschen. „Die Mächtigen dieser Welt haben es... mit der zweiten Generation zu tun, die nach 1945 heranwuchs.“ Er warnte davor, den Eindruck zu vermitteln, daß über die Köpfe der Deutschen Dinge verfügt werden sollten, die sie selbst angehen. Diplomatische Finessen könnten „geeignet“ sein, „die deutsche Szene mit nationalistischen Reaktionen zu belasten“.

Brandt wehrte sich in seiner Rede energisch gegen den Vorwurf, die SPD habe sich der SED angebiedert; dies sei genauso unwürdig, wie die Frage aufzuwerfen, „wer mit wem wann Hirsche und Bären jagen ging“. Brandt verwies auf die deutliche Kritik der Sozialdemokratie am autoritären Kommunismus. Gleichzeitig räumte er ein, es sei ein „schweres Versäumnis“ gewesen, sich nicht energischer dagegen zu wehren, „daß der Begriff Sozialismus für diktatorische Herrschaftsformen und Kommandowirtschaft in Anspruch genommen wurde“. Es gehe jetzt nicht nur darum, daß die Häuser neue Farbe bekommen, sondern auch um den Anschluß an morderne technologische Möglichkeiten und „zeitgemäße Formen des Wirtschaftens“. Es sei „schwer zu verstehen, wozu ein 'dritter Weg‘ empfohlen wird“. In der schwedischen Sozialdemokratie rede man davon, „Kapitalismus mit menschlichem Antlitz sei besser als Sozialismus ohne“. Brandt ließ es offen, ob er sich dieser Neubewertung der alten Terminologie anschließen will oder nicht. Die Wirklichkeit „in diesem Revolutionsjahr 1989“ dränge zur Sozialdemokratie, rief er aus, „Deutschland braucht eine starke Sozialdemokratie“.

In bewegenden Worten hatten Vertreter der DDR-SDP zur Eröffnung des Parteitages berichtet, wie wichtig Willy Brandt und sein Auftritt in Erfurt 1970 für die politische Identität der Ost-Sozialdemokraten sei. Der Gastredner der SDP, Markus Meckel, betonte, die Identifikation mit der bundesrepublikanischen SPD sei groß. Dennoch lege man Wert auf den Eindruck, daß die SDP selbständig entstanden sei. Der SPD warf er vor, nicht frühzeitig neben ihren SED -Kontakten „auch das Gespräch mit den oppositionellen Gruppen gesucht“ zu haben. Vorsichtig stimmte er Vorstellungen von „Konföderation“ zu, wollte aber konkreter nicht auf die deutschlandpolitische Debatte in der Bundesrepublik eingehen.

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