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Schewardnadse im Hauptquartier des Feindes

■ Beim ersten Besuch eines sowjetischen Außenministers bei einem Nato-Chef herrschte „verheißungsvolle“ Stimmung

Brüssel (taz/dpa) - Bei der Nato war schon am Dienstag Bescherung: Der sowjetische Außenminister Schewardnadse hielt Einzug in das Hauptquartier des Erzfeindes. Zum ersten Mal stattete ein derart hoch angesiedelter Vertreter der Warschauer-Pakt-Staaten dem gegnerischen Bündnissystem einen Besuch ab. „Halleluja“, entfuhr es Nato-Generalsekretär Wörner bei der Begrüßung. „Verheißungsvoll“ nannte Schewardnadse das eineinhalbstündige Treffen.

Anschließend berichteten Wörner und Schewardnadse, daß Abrüstungsverträge über konventionelle Waffen in Europa und über strategische Atomwaffen im kommenden Jahr notwendig und möglich seien. Für die Abschaffung der chemischen Waffen sei eine von Schewardnadse genannte Frist von zwei Jahren realistisch, sagte Wörner. Beide Seiten hoben ferner die stabilisierende Funktion von Nato und Warschauer Pakt in Europa hervor.

Die Nato-Visite war auf Wunsch der Sowjetunion zustande gekommen. Wörner erklärte: „Wir befinden uns klar in einer neuen Ära, wo Konfrontation durch Zusammenarbeit ersetzt wird.“

In einer darauffolgenden Rede im Europaparlament bat Schewardnadse den „schöpferischen Geist Europas“ um Hilfe für die Verwirklichung seiner Vision eines „polizentrischen Konzerts der europäischen Völker“ gegen die Wiederkehr eines „europäischen Extremismus“. Auf Kohls Wiedervereinigungsplan anspielend, sagte Schewardnadse: „Es wäre verbrecherisch, im waffengesättigten Europa eine Epidemie des Hasses und des Kriegs zu schüren.“ Natürlich erkenne die Sowjetunion das Selbstbestimmungsrecht der beiden deutschen Staaten an. Aber gebe es Sicherheitsgarantien für die Länder Europas, die sich von einem wiedervereinigten Deutschland bedroht fühlen? Oder sei die Bundesrepublik bereit, auf Gebietsansprüche zu verzichten und die bestehenden Grenzen anzuerkennen? Würde ein solches neues Staatsgebilde sich zur militärischen Neutralität bekennen? Würde der neue Staat konstruktiven Einfluß auf die Überwindung der Teilung Europas haben? Er antwortete selbst mit Nein.

Die Völker der Sowjetunion hätten einen Anspruch auf zufriedenstellende Antworten, fügte Schewardnadse unter Verweis auf die 20 Millionen Toten während des Zweiten Weltkriegs hinzu. Die Sowjetunion werde die DDR als ihre Verbündete nicht fallen lassen. Dann schränkte Schewardnadse ein: solange die Militärbündnisse in ihrer jetzigen Form bestehen blieben. Unter solchen Voraussetzung halte er eine verantwortungsbewußte Annäherung der beiden deutschen Staaten für möglich. Er plädierte für die Schaffung eines einheitlichen Rechts- und Wirtschaftsraums auf dem europäischen Kontinent, der EG, EFTA und RGW umfaßt. Deshalb soll noch dieses Jahr eine Sonderkonferenz der 35 KSZE -Staaten einberufen werden, die unter anderem die Strukturen der europäischen Organisationen reformiert und supranationale Zentren beispielsweise für Menschenrechte und Abrüstung anvisiert.

Ebenfalls gestern verständigten sich die EG-Außenminster auf ein umfassendes Wirtschaftsabkommen mit der DDR. Nach Angaben von Bundesaußenminister Genscher billigte der EG -Ministerrat im Grundsatz den Entwurf für ein Verhandlungsmandat, das die EG-Kommission vorgelegt hatte.

Michael Bullard

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