: Nüchtern bleiben!
■ Vor dem Brandenburger Tor herrschte gestern noch nervöse Langeweile / Heute Übergangseröffnung
Die drei gelben Telefonzellen sind ununterbrochen besetzt. Wer telefoniert, guckt durch schmutzige Fenster hinaus auf das 50 Meter entfernte Brandenburger Tor. Hinter den Häuschen steht eine „Wanne“ - Polizisten filmen vom Dach des Mannschaftswagens in den Osten, obwohl eigentlich noch gar nichts passiert ist.
Vor dem Polizeiwagen klebt eine Menschentraube. Hochgestreckte Arme halten den Uniformierten auf dem Blechdach „Ritsch-Ratsch-Klicks“ entgegen. Ihre Kollegen, die vor dem Brandenburger Tor nach dem Rechten schauen, brauchen für Touris und Berliner keine Erinnerungsklicks zu machen.
Sie müssen nur immer wieder die gleichen Fragen beantworten: „Wann und wo wird das Tor geöffnet?“ Die Beamten wissen es nicht. Trotzdem: Um sie herum wächst sofort eine Menschentraube an - könnte ja sein, daß „man was versäumt“. Ein Rentner klärt die Leute schließlich auf: „Die Mauer wird erst Freitag geöffnet. Das habe ich im RIAS gehört.“
Am Brandenburger Tor ist es naßkalt und der Himmel grau. Für Glühweinstände ein einträgliches Wetterchen. Aber vom Potsdamer Platz bis zum Reichstag ist kein Wurstmaxe zu riechen und kein Tapeziertisch mit dampfendem Topf zu sehen. „Die Schaulustigen sollen nüchtern bleiben, wenn das Tor geöffnet wird“, rechtfertigt ein Polizist das Verbot für Gewerbetreibende.
Die Lastwagen der Fernseh-gesellschaften sind dieses Mal auch an den Rand gedrückt. In der Mitte auf der „Straße des 17. Juni“ steht nur ein Weihnachtsbaum, der noch in 22 Meter Höhe für den Namen einer Supermarkt-Kette wirbt. Studenten wollen hier Plakate („The East Berliner“) an den Mann bringen. Polizisten drängen auch sie sofort an den Rand: „Sonst habe ich in einer Stunde Jacobs hier, die wollen dann Kaffee verkaufen.“
diak
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen