Hyäne und Hase

■ Eine afrikanische Filmreihe tourt durch die Bundesrepublik

Kinder, die sich als Hyäne und Hase maskieren; Kinder, die sich Holzgewehre schnitzen; Kinder, die vom Generalsein träumen; Kinder, die durch den Busch laufen und unter Steinen Eßbares suchen; Kinder, die Gefangenen Wasser bringen; Kinder, die sterben, weil die Mutterbrust keine Milch mehr hat oder das selbstgeschnitzte Gewehr nicht schießt. Aber auch Kinder, die trommeln und tanzen, aus Müll Spielzeug anfertigen, raufen, kleine Geschäfte machen und den großen Mann markieren.

Solche und ähnliche Motive durchziehen nicht nur Moustafa Daos Filme A nous la rue (1987) und Le neveu du peintre (1989). In seinen halbdokumentarischen Kurzfilmen zeigt er, wie Kinder die Zwischenräume der modernen Hauptstadt Bukina Faso bewohnen, sich auf der Straße einrichten und vom dörflichen Hase-und-Hyäne-Spiel überwechseln zu städtischer Kleinkriminalität. Viele der afrikanischen Filme, die in der Veranstaltungsreihe Camera d'Afrique zur Zeit im Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ zu sehen sind, heben an mit Tanz und Musik, zeigen eine uns nicht mehr vertraute Unbeschwertheit.

In Bal poussiere von Henri Duparc (Elfenbeinküste, 1988) gibt sich die Protagonistin emanzipiert, sie trägt Jeans oder sogar Shorts und fügt sich durchaus nicht reibungslos in die Rolle der sechsten Ehefrau des „Dorfhäuptlings“. Noch vor der Hochzeit erklärt sie ihrem Mann, keine Jungfrau mehr zu sein; das unumgängliche Ritual der Blutstropfen nach der Hochzeitsnacht löst sie mit einem rötlichen Desinfektionsmittel. Sie bestimmt, wann es zum Geschlechtsverkehr kommt. Und sie flüchtet zuletzt mit ihrem früheren Geliebten, einem Jazztrompeter.

Wie in diesem Film sind die Kontrahenten immer wieder: afrikanische Tradition und europäische Zivilisation. In Raymond Rajaonorivelos Film Tabataba (Madagaskar, 1988) bewegen sich Menschen aus Afrika auf bloßen Füßen, mit Lasten auf den Köpfen, synchron zu den langsamen Kameraschwenks; Menschen aus Europa, mit Stiefeln und einer gestischen und sprachlichen Aufgeregtheit, bilden die Vertikale. Die fremde Macht, die sich über Kommandosprache und Gewehrläufe manifestiert, kann sich nur durchsetzen mittels Raub, sie stiehlt den Eingeborenen ihren Reis, ihre Häuser, ihre Gemeinschaft. Und die Wehrlosen, die in den Tropenwald ausweichen, liefern sich lieber dem Hungertod aus.

Und doch hat Raymond Rajaonorivelo diesen Film über den Unabhängigkeitskrieg (1947) der Inselbewohner von Madagaskar gegen die französische Kolonialmacht schon in den Fängen einer Filmästhetik a la Hollywood gemalt. Und doch behaupten sich die Gesichter und Gesten der Inselbewohner gegen alle Weitwinkelperspektiven und lassen den Film zu einem ethnographischen Dokument werden: Eine alte Frau (sie stehe für das Matriarchat in Madagaskar, sagt der Filmemacher) erwartet allein, in einem zerschlissenen Samtfauteuil mitten auf dem Dorfplatz sitzend, die anrückenden Besatzer und begrüßt sie mit ihrem Sterben. Eine andere Frau löst sich als Zeichen der Trauer um ihren Mann, der im Guerillakampf gefallen ist - die Zöpfe und blickt tränenlos in die Kamera. Eine dritte Frau deckt das Grab des getöteten Sohnes mit einem für ihn gewebten Tuch neuerlich zu.

Je näher freilich die Geschichten an die Jetztzeit heranrücken, um so weniger hält dieses Bild der naiven und unverführbaren Einheimischen: Sowohl in Henri Duparcs wie in Amadou Saalum Secks Film Saaraba (Senegal, 1988) ist bereits die einheimische Bevölkerung gespalten. Da gibt es die reichen, verstädterten Schwarzen, die zugunsten des eigenen Profits rücksichtslos die überkommenen Dorfstrukturen zerstören. Da gibt es den „Halbgott“ in Duparcs Film, jenen Dorfhäuptling, der neben seinen sechs Frauen Wohnzimmersitzecken und Einbauschränke besitzt wie ein europäischer Immobilienmakler.

Seck bringt in der Person seines Hauptdarstellers einen Senegalesen in sein Heimatland zurück, der 18 Jahre in Europa war. Er will wieder ein „echter Senegalese“ werden. Er wendet sich gegen Überfremdung und Ausbeutung des eigenen Landes, gegen die Errichtung einer Salzraffinerie, er zerstört im Büro seines Onkels Pläne für neue Unternehmen, er plädiert für die Einhaltung der islamische Gebote und ist doch derjenige, der das voreheliche Keuschheitsgebot verletzt. In der Drogenszene von Dakar und eingefangen in der europäisch geprägten Lebensweise der Stadt, verliert er mehr und mehr den Boden unter den Füßen und stirbt beinahe auf einer Motorradfahrt, die ihn in das paradiesische „Saaraba“ führen soll.

Der an der Münchener Filmhochschule ausgebildete Filmemacher erzählt damit von seinem eigenen Dilemma: Sein Blick, der nicht nur aus der Flugzeugperspektive auf das Land herabsehen, sondern auch schnell über die vielen Details des Lebens hinwegfegen kann, über die Bettler in Dakar ebenso wie über ein rituelles Tanzfest auf dem Land, offenbart die ästhetische Entwurzelung des von europäischer Kinotradition Geprägten.

Die Dramen der Kulturzerstörung und heiklen Gradwanderung zwischen dem Nicht-mehr und Noch-nicht zeichnen sich ansonsten durch das Fehlen von Psychologie und christlicher Handlungsethik aus, als wollten die Laiendarsteller erneut beweisen, daß der Mensch, je weniger er von der Schriftkultur berührt ist, um so mehr Homo ludens ist. Dabei arbeiten sie fast ausnahmslos ohne Bezahlung, jeder Film mußte mit äußerst knapp bemessenen Mitteln hergestellt werden. Jede Filmrealisierung bedeutet in Afrika einen endlosen Hürdenlauf: Fast alle Dreharbeiten werden durch Interventionen von Diplomaten oder der eigenen Regierung unterbrochen. Alle diese Filme wurden bisher aus Kommerz und Zensurgründen in ihren Entstehungsländern nicht gezeigt. Aber auch in Europa finden sie nur in den wenigsten Ländern einen Verleih (keinen beispielsweise bei uns). „Wir sind arme Länder, die nicht die Möglichkeit haben, ihren Reichtum zu zeigen“, sagte ein Filmemacher. In der Fabel von Hyäne und Hase kommt der zu Reichtum, der die kleinere Kalebasse wählt.

Michaela Ott

Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles Allee 10, 1 Berlin 21. Die Reihe 'Camera d'Afrique wird vom 26. 12 bis 17. Januar mit Filmen aus Niger, Zaire und Mauretanien fortgesetzt. Weitere Tournee-Orte im Januar: Freiburg, Kommunales Kino; Frankfurt, Kommunales Kino; Hamburg, Werkstatt3 ; Bonn, Kinemathek; München, Gasteig; Bremen, Kommunales Kino; Göttingen, Kinoinitiative; Dortmund, Kommunales Kino; Karlsruhe, Das Kino.

Zur Filmreihe ist ein Buch erschienen: Pierre Haffner, Kino in Schwarzafrika, CICIM Sonderheft, 197 S., xxx DM