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Preisexplosion auf dem Westberliner Immobilienmarkt

Betroffen sind vor allem die grenznahen und bisher billigen Bezirke Wedding, Kreuzberg und Neukölln / Auch die Gewerbemieten schnellen bereits in die Höhe  ■  Aus Berlin Eva Schweitzer

„Da drüben könnte die Skyline der Hochhaustürme in den Himmel ragen wie jetzt in Frankfurt“, sorgt sich der Mann vom Berliner Bauamt. Wo gestern im Berliner Mauerschatten karges Gestrüpp und Bruchbuden der Gründerzeit Kaninchen und Autonomen Lebensraum boten, macht sich vielleicht morgen das große Geld breit: Berlins Immobilienmarkt boomt. Der ständige Zuzug Zehntausender aus Ost und West ließ Grundstückspreise wie Mieten von Wohnungen und Läden explodieren. Seit dem Fall der Mauer fing der Markt gar an zu fiebern, vor allem im vormals vernachlässigten Grenzgebiet. Und das sind die Berliner Bezirke Wedding, Neukölln und Kreuzberg.

„Wir hatten in Kreuzberg gut 50 leerstehende Souterrainläden, die unvermietbar waren. Jetzt zahlen Händler bis zu 30 DM pro Quadratmeter, dreimal soviel wie bislang hier üblich“, berichten Kreuzberger Mieterberater. Bis vor kurzem waren die Kreuzberger Geschäftsstraßen jahrzehntelang durch die Mauer von der Außenwelt abgeschnitten. Die Altbauten verfielen seit dem Krieg. Erst die Hausbesetzerbewegung der achtziger Jahre zwang den Senat, sie doch zu erhalten. Seitdem leben dort die Unangepaßten und einige übriggebliebene „Normalberliner“. Ähnlich heimatlich wie in Kreuzberg geht es in Neukölln zu, nur die Bewohnerschaft ist eine andere. Neukölln ist der klassische Berliner Proletarierbezirk. Hier erzielen die „Republikaner“ die höchsten Wahlergebnisse, hier können sich Spekulanten einkaufen, ungehemmt von einem feinmaschigen Kontrollnetz wie im Kreuzberger Kiez. Hier gibt es noch die Eckkneipen, die „Zum Tönnchen“ heißen und wo der Berliner abends seinen Frust runterspülen kann. Das nördliche Neukölln wird durchschnitten von drei großen Einkaufsstraßen voller Kaufhäuser: der Sonnenallee, der Hermannstraße und der Karl-Marx-Straße.

In Kreuzberg hingegen siedelten sich in den letzten Jahren eher exotische Läden an, etwa für afrikanische Lebensmittel, Szeneklamotten, Naturkost, aber auch viele türkische Reisebüros und Kneipen aller Stilarten. Dazu kommt ein breites Angebot von Sozialbetreuung: Mieterläden, Drogenberatungsstellen, Mädchenläden, Ausländertreffpunkte und Kiezküchen.

Über dies alles wird bald ein sehr eisiger Wind wehen. Allein die derzeit erzielten Grundstückspreise lassen ungeahnte Mieten erwarten. „Früher wurde für ein Mietshaus das Dreizehnfache der Jahresmiete bezahlt, heute ist es oft das Zwanzigfache“, berichtet Alexander Rainoff vom Verband deutscher Makler. Das Angebot an Häusern wird knapp, viele Besitzer warten ab, ob die Preise vielleicht noch steigen angesichts der herannahenden Hauptstadtvisionen. „Die, die das schnelle Geld machen wollen, stehen schon auf der Matte“, sagt Rainoff. Für Berliner Häuser im 30er-Jahre -Zustand wird soviel bezahlt wie für fertig modernisierte Häuser in anderen Großstädten. Auch die Preise für Einfamilienhäuser stiegen um etwa 20 Prozent seit letztem Jahr. Selbst bei Eigentumswohnungen, lange Zeit als potentielle Schuldburgen gefürchtet, ist nun die Nachfrage höher als das Angebot.

Der Verkehrswert von Häusern, der von einer Senatsbehörde alle zwei Jahre neu festgesetzt wird, steht nur noch auf dem Papier. „Zum Verkehrswert kriegen sie in ganz Berlin kein Baugrundstück mehr“, meinte kürzlich der Chef der landeseigenen Wohnungsbaukreditanstalt, Riebschläger. Das bekam beispielsweise die Berliner Aids-Hilfe zu spüren. Sie interessierte sich für ein Haus in Kreuzberg, das laut Verkehrswert 600.000 DM kosten soll. Verlangt wurden zwei Millionen - vor dem 9. November. Danach kostete es 2,5 Millionen DM, Die staatlichen Stellen sind selbst in Sanierungsgebieten, wo sie Verkäufe und Verkehrswert verbieten könnten, bei weitem überfordert. So annoncierte kürzlich ein Eigentümer sein Haus im Kreuzberger Sanierungsgebiet zum doppelten Verkehrswert, will es aber nicht als Ganzes verkaufen, sondern in Teilen, wodurch die Zustimmungspflicht der Behörde umgangen wird. Oder man reicht beim Verkauf gleich einen Teil des Geldes unter dem Tisch durch.

Die Nachfrage steigt. „Wir bekommen vermehrt Anfragen aus Westdeutschland nach Grundstücken in Berlin“, berichtet der Geschäftsführer des Berliner Haus- und Grundbesitzerverbandes, Kirchwitz. Versicherungsgesellschaften, in den siebziger Jahren führend im Immobiliengeschäft, interessierten sich vor allem für Häuser in den Neuköllner und Weddinger Einkaufsstraßen, dort, wo die Grenzübergänge sind, sagt Kirchwitz weiter. Aber er hält auch Trost bereit: „Die Preise in den Villenvierteln werden vielleicht sinken, wenn man ein paar Kilometer ostwärts die Datsche billiger kriegt.“

Auffallend ist, daß viele Häuser immer häufiger den Besitzer wechseln - jedesmal steigt der Preis. Durchschlagen wird dies zuerst auf die Berliner Gewerbemieten. Denn die Wohnungsmieten sind, verglichen mit Westdeutschland, streng kontrolliert und dürfen jährlich nur um fünf Prozent steigen, auch wenn einzelne Hauseigentümer die Wohnungsnot ausnutzen und überhöhte Mieten verlangen. Nur durch private Modernisierung und bei Wohnungswechsel lassen sich die Mieten nennenswert erhöhen. Bei Läden hingegen werden in der Regel Ein- bis Fünfjahresverträge abgeschlossen, die Mieten sind völlig frei vereinbar. Und mancher, der hofft, von der Sehnsucht der Ostler nach billigen Radios und Südfrüchten profitieren zu können, zahlt jeden Preis.

Von 400 auf 1.200 DM stieg beispielsweise ein grenznaher Laden in Kreuzberg. Selbst landeseigene Gesellschaften im Sanierungsgebiet wollen nun plötzlich zwei bis drei DM mehr pro Qudratmeter für ihre Läden - und das während der Sanierung, entgegen Absprachen, berichtet ein Mitarbeiter der in Kreuzberg tätigen Stadterneuerungsgesellschaft S.T.E.R.N. „Sechzig bis siebzig DM pro Quadratmeter“ seien inzwischen in den Neuköllner Einkaufsstraßen üblich, erzählt der Chef der dortigen Gewerbeinitiative, Klaus Scheithe. Ein Schlachter habe aufgeben müssen, nachdem ihm die Miete von 3.500 auf 8.500 DM erhöht worden sei.

Bekannt wurden bisher nur Einzelfälle. Wo dies alles enden wird, weiß niemand. Bei der derzeit fluktuierenden Rechtslage in der DDR ist es vorstellbar, daß Supermarktketten demnächst Filialen am Ostberliner Alexanderplatz eröffnen statt im Westen. Möglich ist aber auch, daß im Zuge der Reichshauptstadthysterie bald Münchner Verhältnisse im Kreuzberger Kiez einkehren: teure private Modernisierung und Umwandlungsspekulation blockweise. Der Kiez wehrt sich auf seine Weise. Letzte Woche veranstaltete er eine Demo mit den in Kreuzberg üblichen Begleiterscheinungen Glasbruch und Festnahmen.

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