: Sexuelle Übergriffe in der Therapie
■ Rektor fordert Stellungnahme von verdächtigem Hochschullehrer
Der Skandal um den Hochschullehrer im Studiengang Behindertenpädagogik, dem „sexuelle Nötigung von Patientinnen“ vorgeworfen wird, zieht Kreise. Nachdem am Donnerstag ein taz-Bericht über eine studentische Vollversammlung am Studiengang erschienen war, forderte der Rektor noch am gleichen Tag den Dozenten zu einer Stellungnahme auf. Auf dieser studentischen Vollversammlung hatte der Dozent und Therapeut in verunsichert-schwammigen Sätzen zu den Vorwürfen erklärt: „Mir sind verschiedene Situationen in den Sinn gekommen, bei denen ich einigen nicht gerecht geworden bin. Aber ich hoffe, daß ich niemand vergewaltigt habe.“ Der Dozent hält im Studiengang Veranstaltungen ab, z.B. über „Moral und Ethik“.Im Nebenberuf arbeitet er als von den Krankenkassen anerkannter Therapeut. Seine Analysen macht er vorrangig bei selbstmordgefährdeten und depressiven Klien
tInnen. Am Donnerstag meldete er sich bei der taz und berichtete, er erhalte derzeit zahlreiche Anrufe von Patientinnen, die ihm beim Nachdenken behilflich seien über die Frage: „Mensch, was könnte da gewesen sein?“ Die Anruferinnen hätten sich zum Beispiel beschwert über „Nacktmassagen“ und über die Art, wie er ihnen „den Arm umgelegt“ habe. Im übrigen finde er: „Die Zeit ist noch nicht da, am Studiengang einen einzelnen rauszupicken.“
Strafanzeigen liegen bisher nicht vor. Studentinnen und die Hochschullehrerin Barbara Rohr bemühen sich derzeit, betroffene Frauen in Kontakt zu bringen. Ehemalige Patientinnen, die die Therapien abgebrochen hatten, fanden bisher den Mut nicht, an die Öffentlichkeit zu gehen.
Der Hochschullehrer Wolfgang Jantzen, einer von sechs Kollegen des verdächtigen Mannes, hat früher aktiv als Therapeut
gearbeitet und einen Selbsthilfeverein begründet. Jantzen zur taz: „Wenn man selbst in dem Bereich arbeitet, erfährt man sehr oft von diesen Dingen.“ Auch über seinen in den vergangenen Wochen ins Zwielicht geratenen Kollegen hatte er schon vor Jahren „das eine oder andere munkeln hören.“ Der Selbsthilfeverein hatte die Adresse dieses Kollegen deshalb nicht mehr an therapiebedürftige Menschen weitergegeben. Zur Rede gestellt hatte Jantzen diesen Kollegen jedoch nicht: „Das habe ich als absolut nutzlos betrachtet. Man hält einfach den Mund.“ Es gebe keine Institution, an die man sich in solchen Fällen wenden könne. Auch gebe es unter Therapeuten immer das entlastende Argument, die Beschuldigungen resultierten aus der „Übertragungssituation“ zwischen Therapeut und Klientin. Außerdem sei die Atmosphäre in seinem Kollegium aufgrund Jahre zurückliegender Auseinander- setzungen völlig vergiftet, niemand wisse genau, welcher Kollege sich als Therapeut betätige und wie. In dem von ihm begründeten Selbsthilfeverein jedenfalls habe man versucht, das intime therapeutische „Setting“ so zu verändern, daß zwei MitarbeiterInnen gemeinsam das Therapieangebot machten.
Im vergangen Jahr waren in Bremen zwei Fälle sexueller Übergriffe von Therapeuten publik geworden. Ein Heimleiter hatte sich an drei Bewohnerinnen „vergriffen“. Und ein Therapeut war wegen ähnlicher Vorwürfe aus seinem Fachverbandausgeschlossen worden. Zur Aufdeckung hatte die Psychologin Karin Kaltenberg beigetragen, die entsprechende Vorwürfe gleich von mehreren Klientinnen gehört hatte: „Sexuelle Übergriffe sind ein Tabubereich. Aber das kommt häufiger vor, als man gemeinhin annimmt.“
Barbara Debus
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