WIR KENNEN UNS DOCH?!

■ Wiedergängertum in den 80ern

Um ordentlich in Erscheinung zu treten und selber ein wahrhaftiger Vertreter der 80er Jahre zu werden, um überwechseln zu können auf „die richtige Seite des Lebens“, wo's lustig ist und spannend - „Männer, Fahrten, Abenteuer“ (so ein Goetz-Aufsatz im Spex) -, mußte man sich erst mal demonstrativ wehtun. Oder Alk oder Junkie oder im Irrenhaus gewesen sein. Eine Art Eintrittspreis mußte entrichtet werden, um an einem Vergnügen teilnehmen zu dürfen, daß in den 70ern noch „umsonst & draußen“ war und ein bißchen blöde.

Anders als in den 70er Jahren, in denen Hasch und LSD, also lasche Drogen und lasche Kleider, gebeugte Rücken und meditative Konzepte der Entsubjektivierung en vogue waren, sollten die 80er das Jahrzehnt pathetisch angefüllter Konturen werden. So versicherte man sich seiner Körperlichkeit beim Pogo oder beim blöde Rumficken; SM, in finsteren Wäldern, versyphten Zimmern oder bloß im philosophischen „Diskurs“ war schwer angesagt.

Das Ich als Produkt des durch den Kapitalismus geschaffenen Mangels war unrettbar - manchmal nur traf man noch traurig Bataille lesende Diskothekengänger. Modephilosoph des Unrettbaren war Nietzsche, die französischen 68er -Philosophen Deleuze, Guattari, Foucault, Lyotard usw. die neuen Helden. Konturen und Exerzitien, die die Umrisse stärker hervortreten lassen, waren gefragt: wenig Schlafen, Speed, viel Arbeiten und viel Trinken, am besten Bier. „Die Welt in Ordnung trinken. Trinken um nüchtern zu werden. „TrinkenDenken“ meinte Goetz und wiederholte damit den 70er

Jahre-Achternbusch: „Polizist: Gestern haben sie 11.000 Maß getrunken. (...) Und heute wer den es 15.000 Maß (...).“

1980 gab es eine Bestsellerwelle von Selbstmorden: Der Selbstmordfilm Wetherby kriegte einen Silbernen Bären, und der Blutbrunnen auf dem Kriegerfriedhof Behescht-i-Sahra in Teheran hing als Bild in einigen Wohnungen. Mörder Manson, Ed Gaines, Rösi & Degi fanden Ende der 80er viele neue Fans, der Amokläufer aus Kanada, der 40 Frauen umbrachte, dagegen wenig Freunde, wohl weil bei ihm das Kultische oder das authentisch proletarisch Verzweifelte gefehlt hätte. Was man bei Nitsch, „Fuera del Baus“, Bataille, Opferkulten und Mythen fand. Manchmal wurde auch wirklich gestorben: „Frank hat vor zwei Wochen Selbstmord begangen. Schade, daß ich's nie geschafft hab, Dir richtig zu zeigen, daß ich Dich mag“, klagte eine taz-Anzeige ins Unvordenkliche.

Nur wer irgendwann einmal ordentlich gelitten hatte, durfte in den 80ern wiederkommen: Tina Turner, Iggy Pop, Alice Cooper, Alex Chilton, Leonard Cohen, John Cale, Nico, Lou Reed. Weil David Bowie nicht gelitten hatte, durfte er nur die 80er einläuten; das hieß, spät erst veröffentlicht, My death und war als Cover von Jacques Brel ziemlich kongenial. Manch andere wurden vom Türsteher der 80er sozusagen noch aufgehalten, kontrolliert - ein Auftritt von Gary Glitter wurde abgesagt, weil zuwenig Karten verkauft worden waren, The Sweet (feat. Brian Connolly) mußten ihr Konzert bei Joe abbrechen, weil's arg unerträglich war etc.

-, dann aber doch durchgelassen. Und ist die Tür erst mal offen, kommt jeder hinein: die Hollies, 10 Years After, Pretty Things und Heino, der sich so raffiniert der Mittel bediente, die Norbert Hähnel ihm vorgegeben hatte, und jetzt als Edelweißrapper absahnt.

DJs im Radio oder in den Alt-Kneipen spielen ihre Jugendhits, weil's bei denen immer so gemütlich war und auch sein soll. In den In-Kneipen werden Oldies neben anderem gespielt, weil man um die Regression wußte; womit man einen obszön-masochistischen bis nekrophilen Effekt erzielen konnte.

Verschlingungen, Schleifen der Simulation erreichten mit Herrn Herrhausen, der nach seinem Tod in der taz Baudrillard zitiert, vielleicht ihren merkwürdigen Höhepunkt.

Den kulturellen Höhepunkt in Kreuzberg, die Maifestspiele, läßt sich der Senat gerne etwas kosten.

Aus Punks wurden Funpunker, Hardrocker essen Müsli, und Berliner Kulturpapst wird Peter Müller mit der Plastiktüte, der mit einem freundlichen „Wir kennen uns doch?!“ bei jeder Ausstellungseröffnung zu bewundern ist.

Am sympathischsten sind die Lolitas, und am besten ist, blickt man zurück, Marc Almond; und das Schöne und quasi schlußendlich Zusammenfassende ist, was er auf seiner letzten, der genialen Jacques-Brel-LP My Death pathetisch vergeigt.

Detlef Kuhlbrodt