: Zum Friseur nur noch mit Personalausweis
■ Wirtschaftsministerin Luft kündigt vor dem runden Tisch drastische Maßnahmen gegen den „Ausverkauf“ des Landes an / Keine Mehrheitsbeteiligung westdeutscher Firmen in der DDR / Grunderwerb für Ausländer soll auch in Zukunft nicht ermöglicht werden
Berlin (ap) - Mit drastischen Maßnahmen an den Grenzen will die DDR den Massenaufkauf subventionierter Waren durch westliche Touristen abwehren. Wirtschaftsministerin Christa Luft kündigte am Freitag in Ost-Berlin vor Vertretern des runden Tisches verschärfte Zollkontrollen an, um Geldschmuggel zu verhindern.
Am runden Tisch hatten sich zum dritten Mal Vertreter von 16 Parteien, politischen Gruppierungen und Organisationen zusammengesetzt. Thema des Tages war die Wirtschaft. Fünf Organisationen, darunter die Jugendorganisation FDJ und der Kulturbund, nahmen als Beobachter teil. Der durch Massenaustritte dezimierte Gewerkschaftsbund FDGB kündigte an, er werde sich in dem Gremium, das die Gesetzgebungsarbeit bis zu den freien Wahlen am 6. Mai 1990 begleiten will, verstärkt Gehör verschaffen.
Ministerpräsident Hans Modrow äußerte sich unterdessen zufrieden über das Ergebnis des Besuches von Bundeskanzler Helmut Kohl in Dresden. In einem Interview der Jugendzeitung 'Junge Welt‘ sagte er, zentrales Element der angestrebten Vertragsgemeinschaft sei die Stabilisierung der Lebensverhältnisse durch die Wirtschaft.
Frau Luft sagte, Verstöße gegen die Ein- und Ausfuhrvorschriften der DDR würden nach geltendem Recht geahndet. Bundesbürger und Ausländer könnten Benzin und Hotels in der DDR nur mit Valuta bezahlen. Billige Dienstleistungen wie Friseur oder Massagen gebe es für DDR -Bürger, die sich ausweisen müßten. Für den Kauf von Ferngläsern, Barometern oder ähnlichem müßten Umtauschbescheinigungen vorgelegt werden.
Die Wirtschaftsministerin schätzte das Vermögen der DDR im Westen entgegen anderslautenden Meldungen auf nur 300 Millionen D-Mark. Eine Währungsreform in der DDR lehnte sie ab.
Die Verschuldung der DDR sei so, daß der Staat zahlungsfähig sei und sich nicht „im Würgegriff ausländischer Geldgeber“ befinde. Allerdings warnte sie vor zusätzlichen Importwünschen. Die größte Gefahr für die DDR liege in einer Zahlungsunfähigkeit.
Frau Luft räumte ein, daß es derzeit Streikdrohungen bei Verkehrsbetrieben in den drei sächsischen Städten Eisleben, Leipzig und Werdau bei Leipzig gebe. Entscheidungen über Arbeitskämpfe sollten am Wochenende fallen. Sie sagte, die DDR könne nicht alle Forderungen nach Lohnerhöhungen erfüllen. Dafür fehle das Geld.
Zu den geplanten Joint-ventures zwischen bundesdeutschen und DDR-Firmen sagte sie: „Es wird keine Mehrheitsbeteiligung westdeutscher Firmen bei DDR-Kombinaten und größeren Betrieben geben.“ Kleinbetriebe nahm die Ministerin nicht ausdrücklich aus. Außerdem gebe es genügend Interessenten, die auch ohne Mehrheitsbeteiligung bereit seien, in der DDR zu investieren.
Frau Luft sagte, die Gesetze ließen Grunderwerb durch Bundesbürger und Ausländer in der DDR nicht zu. Die Regierung habe nicht die Absicht, dies zu ändern: „Für uns sind Grund und Boden etwas Heiliges.“ DDR-Bürgern soll dagegen eventuell der Grund, auf dem etwa Wochenendhäuser stehen, zum Verkauf angeboten werden mit der Einschränkungen, nicht an Ausländer weiterzuverkaufen. Bisher durften DDR-Bürger keinen eigenen Grund und Boden besitzen, Bauland wurde stets nur verpachtet.
Viele DDR-Bürger wünschen sich nach Angaben Lufts noch mehr Grenzübergänge zur Bundesrepublik. Dafür fehle aber ebenfalls das Geld. Ein Grenzübergang kostet nach ihren Angaben rund zehn Millionen Mark im Jahr. Wenn mehr geschaffen werden sollten als bisher, müsse die Bundesregierung um Kostenbeteiligung gebeten werden.
Nach der Abwanderung Tausender von Arbeitskräften sei die DDR-Wirtschaft zwei volle Arbeitstage hinter das Plansoll zurückgefallen. Probleme gebe es bei der Zulieferung und der Ersatzteilversorgung. Die Menschen arbeiteten aber diszipliniert und fleißig. Dies sollte in der Öffentlichkeit mehr Anerkennung als bisher finden.
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