piwik no script img

Tod unter dem Brandenburger Tor

■ Der Zusammenbruch eines vom DDR-Fernsehen aufgestellten Gerüstes am Brandenburger Tor kostete wahrscheinlich auch ein Menschenleben / Insgesamt gab es mindestens drei Tote und Hunderte von Verletzten in der Silvesternacht / Randale in Kreuzberg

War das eine Silvesternacht! Mit Pflastersteinen und Kraftfahrzeugen, Knallkörpern und Fäusten schlugen sich die ausgelassenen Berliner gegenseitig krankenhausreif. Mindestens drei, vielleicht aber sogar fünf Menschen bezahlten die Nacht mit ihrem Leben. Allein der Gerüststurz am Brandenburger Tor hinterließ nicht nur über hundert Verletzte, sondern hat wahrscheinlich auch ein Menschenleben gekostet. Bei dem mutmaßlichen Opfer handelt es sich um einen 24jährigen Westberliner, der nach dem Unglück auf dem Mittelstreifen der Straße Unter den Linden tot aufgefunden wurde.

Unabhängig vom Gerüststurz habe die Feier am Brandenburger Tor zwei Tote gefordert, sagte der Ostberliner Oberbürgermeister Krack im ZDF. Die Ostberliner Polizei konnte diese Information allerdings nicht bestätigen. Zu den zwei Silvester-Toten auf Westberliner Boden zählte ein vierzehnjähriger Junge, der in einer Wohnung in der Weddinger Prinzenallee tödlich getroffen liegenblieb, nachdem zwei Männer mit einer scharfen Waffe auf die Haustür gefeuert hatten. Außerdem barg die Feuerwehr am frühen Neujahrsmorgen aus einer ausgebrannten Wohnung in Tempelhof die Leiche einer 89jährigen Frau.

Insgesamt 300 Verletzte hätten die Krankenhäuser in Ost und West-Berlin in der Silvesternacht aufgenommen, teilte das Rote Kreuz mit. Der Gerüststurz am Brandenburger Tor habe 135 Verletzte gefordert, schätzte die DDR -Nachrichtenagentur 'adn‘. Polizei, Feuerwehr und Hilfsdienste aus Ost und West hatten sich dort gemeinsam um die Rettung der Unglücksopfer bemüht. Die Zusammenarbeit habe „hervorragend“ geklappt, lobte Dietrich Eisenschenk vom Feuerwehr-Lagedienst. Trotzdem mußten die Krankenwagen bis zu vier Verletzte gleichzeitig abtransportieren, je nach Herkunft des Wagens in Ost- oder Westberliner Kliniken. „Wie sie lagen, wurden sie eingeladen“, sagte Wolfgang Lausch vom Lagedienst der Westberliner Polizei. Deshalb wachten Dutzende Ost- und Westberliner nicht in den Krankenbetten ihrer Stadthälfte, sondern in der Nachbarstadt auf. Laut 'adn‘ waren es 50 DDR-Bürger, die in Westberliner Krankenhäuser gefahren wurden, 80 Menschen dagegen seien in Kliniken im Ostteil versorgt worden. Dort befanden sich gestern nachmittag noch 25 Silvester-Opfer zwecks stationärer Behandlung, darunter elf „Ausländer“. Die Westberliner Krankenhäuser beherbergten noch 22 Verletzte.

Schon lange vor Mitternacht gab es am Brandenburger Tor die ersten Verletzten. Sie waren von der Mauer gestürzt oder wurden ins Gedränge gequetscht, als die Menge über Gitter und Absperrungen hinwegtrampelte. Knallköpfe, die Feuerwerkskörper in das Getümmel warfen, bescherten etlichen Menschen Schocks und Verbrennungen. Hunderte von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mußten bereits in den frühen Abendstunden mit Knochenbrüchen und Verstauchungen behandelt werden, teilte die Ostberliner Polizei mit. In Unfallhilfsstellen am Brandenburger Tor und im Reichstagsgebäude wurden nach Angaben des Deutschen Roten Kreuzes bis in die Morgenstunden über 300 Verletzte an Ort und Stelle verarztet.

163 Brände (Vorjahr: 138) und zahlreiche Unglücksfälle ließen die Westberliner Feuerwehr in der Zeit zwischen 23.30 Uhr und 5.15 Uhr zu 572 Einsätzen ausrücken, zu 47 mehr als im Vorjahr. Feuerwerkskörper hätten etwa 100 Brände ausgelöst, sagte Eisenschenk. Die Polizei, die in diesem Jahr nur auf 1.137 Einsätze kam (Vorjahr: 1.248), zählte acht Feuerwerks-Verletzte.

Einen nächtlichen Nebenkriegsschauplatz hatten etwa 150 Menschen rund um den Heinrichplatz und das Kottbusser Tor in Kreuzberg eröffnet. Laut Polizei begann die Randale pünktlich fünf Minuten vor Mitternacht. An verschiedenen Stellen hätten die „Störer“ Bauwagen umgestürzt, Autos angezündet, Scheiben eingeworfen und Barrikaden gebaut. Die Polizei hielt mit etwa 400 Mann dagegen und setzte schließlich auch Wasserwerfer und Schlagstock ein. Gegen vier Uhr legte sich wieder Ruhe über den Stadtteil. Acht Personen wurden festgenommen.

hmt/dpa

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen