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Asylsuchende auf Schiffen kaserniert

Im Ruhrgebiet werden AsylbewerberInnen unter menschenunwürdigen Bedingungen auf abgetaktelten Rheindampfern untergebracht / Vom Geschäft mit den Flüchtlingen profitiert vor allem ein Schiffsmakler / An Bord herrschen bei drangvoller Enge Frust und Aggressionen / Aus einer Notlösung wurde Dauerzustand  ■  Aus Essen Bettina Markmeyer

Die „Androna“ liegt im Hafenbecken des Gewerbegebiets von Herne, dem ehemaligen Zechengelände „Friedrich der Große“. Der Weg zum Ufer des Rhein-Herne-Kanals, an dem das Schiff vertäut ist, führt durch schwarze Schlammbrache. Im Aufenthaltsraum an Deck, in dem sich früher Urlaubsgäste rheinaufwärts an der Loreley vorbeischippern ließen, sitzen die Männer von der Besatzung der „Androna“. Sie sind nicht gut zu sprechen auf „die Gäste“, die sie hier erwarten.

Die Stadt Herne will auf der „Androna“ Asylsuchende unterbringen. Dafür hat sie das Schiff zum 1.Dezember 1989 unter Vertrag genommen. Zwei sind schon da, ein Libanese und ein Kurde. „Die sind in Ordnung“, sagt einer der Männer im roten Overall. Er ist Holländer. Dann zeigt er auf seinen Schäferhund: „Aber ich hab‘ mir jetzt den zugelegt. Den brauch‘ ich hier.“

In der ersten Dezemberwoche hatte der Herner Sozialdezernent Wolfgang Schäfer versucht, 20 Ghanesen, die bis dahin in Übergangsheimen wohnten, auf die „Androna“ zu verfrachten. Eine Nacht lang blieben sie, am nächsten Tag besetzten sie das Sozialamt und weigerten sich, auf die schwimmende Behausung zurückzukehren. Sie würden es vorziehen, in ihren beengten Unterkünften zu bleiben und sich zu zehnt einen Wasserkran zu teilen. Dort könnten sie immerhin selbst kochen. Auf dem Wasser bekämen sie Depressionen. Sie erhielten Aufschub bis nach Weihnachten. Am 27.Dezember jedoch, so Schäfer, werde er sie „notfalls mit Polizeigewalt“ zwingen, Quartier auf der „Androna“ zu nehmen. „Ich bin froh, daß ich das Schiff überhaupt gekriegt habe.“ 65 Schlafplätze bietet es. Der Mietvertrag läuft bis Mai 1991. Die Unterbringung hier sei billiger als in Hotels, rechnet Schäfer vor. In ganz Herne gebe es keinen Platz mehr für die Asylbewerber.

Das Geschäft mit der Not

Herne vollzieht jetzt nach, was an anderer Stelle an Rhein und Ruhr bereits praktiziert wird. Die Stadtverwaltungen von Duisburg und Düsseldorf bringen Flüchtlinge und inzwischen auch Aus- und ÜbersiedlerInnen schon länger auf Schiffen unter. So ist es wohl kein Zufall, daß die „Androna“ am Rhein-Herne-Kanal festgemacht hat. Zuvor ankerte sie in Düsseldorf, und noch im Frühsommer dieses Jahres lag sie im Binnenhafen von Duisburg, neben der „Astoria“ und der „Basilea“, die dort, versteckt zwischen Speicherhäusern und Verladekränen, mit insgesamt 229 Menschen aus 13 Ländern derzeit wieder voll belegt sind.

Das Geschäft mit der Not der Flüchtlinge macht eine offenbar eigens zu diesem Zweck gegründete Duisburger Firma. Mindestens fünf Schiffe hat sie als Flüchtlingsunterkünfte in Düsseldorf, Duisburg und Herne unter Vertrag. Darunter eigene, wie die „Androna“ und die „Basilea“, und solche, die die Firma als Maklerin an die Behörden vermietet hat. Die „Basilea“ begann ihre lukrative Karriere als Flüchtlingsschiff im vergangenen Jahr in Basel, wo sie schon den schweizerischen Behörden als provisorische Empfangsstelle für Asylbewerber gedient hatte.

Die Firma stellt Schiffe und Besatzung und sorgt für die Lieferung von Großküchenessen. Pro Flüchtling und Tag soll sie dafür zwischen 50 und 65 Mark kassieren. Das wären mindestens 1.500 DM pro Person und Monat oder 7.500 DM für eine fünfköpfige Familie. „Normalerweise bringt die Verwaltung eine solche Familie nach dem Sozialhilfesatz plus Miete für gut 2.000 DM im Monat unter“, erklärt Michael Gödde, Rechtsanwalt und engagiert im Duisburger Flüchtlingsrat.

Auf das Firmenkonto fließt aber noch zusätzliches Geld, das eigentlich den Flüchtlingen zusteht. Weil die AsylbewerberInnen auf den Schiffen voll verpflegt werden, kürzen ihnen die Sozialämter die Unterstützung. In Duisburg bleiben einer/m Erwachsenen dann noch 85 DM, in Herne 142 DM Taschengeld pro Monat. An den Schiffsmakler überweist die Stadt jährlich rund 3,5 Millionen Mark. Die teure Schiffslogis drückt allerdings nicht unmittelbar auf die städtischen Finanzen. Für Flüchtlinge, über deren Asylantrag noch nicht entschieden ist, erstattet das Land Nordrhein -Westfalen die Kosten für Sozialhilfe und Unterbringung in vollem Umfang.

Was teuer ist, muß nicht unbedingt gut sein. Beispiel „Basilea“: Auf dem Schiff, konzipiert für Rheintouristik mit Landausflügen, herrscht drangvolle Enge. Die technischen und sanitären Anlagen sind überlastet, die Belüftung funktioniert schlecht oder gar nicht. Viele Kabinenfenster lassen sich nicht öffnen; Wasserdampf, der beim Duschen entsteht, kann in den Gängen nicht abziehen. Die Kinder spielen auf feuchten, schimmelnden Teppichböden. Im Sommer war die Hitze unter Deck unerträglich. Jetzt, im Winter, da der Wasserspiegel im Hafen sinkt, wird es in den Kabinen zur Hafenwand hin nicht mehr hell. Die Schiffskabinen sind viel zu eng, außer für einen schmalen Schrank gibt es keinen Platz für weiteres Mobiliar. In der Regel teilen sich zwei, manchmal drei Personen etwa sechs Quadratmeter.

Der Duisburger Arzt Dr.Klaus Hermes betreut die Flüchtlinge auf dem Schiff: „Es herrschen schlimme Zustände, unten im Schiff ist es einfach zu eng.“ Vor allem Kinder, aber auch Erwachsene leiden überdurchschnittlich häufig an Atemwegserkrankungen. Hermes: „Die Belüftung ist die reinste Bakterienschleuder.“ Hermes wandte sich mit anderen KollegInnen ans Duisburger Sozialamt. Für Norbert Giese aber, zuständiger Abteilungsleiter im Amt, gibt es zwar „keine stichhaltigen medizinischen Argumente dafür, daß die Unterbringung nicht zuzumuten“ sei. Dennoch versuchte die Stadt, Familien mit Kindern möglichst anders unterzubringen. Inzwischen leben aber wieder rund 45 Kinder auf den beiden Schiffen. An den Bedingungen hat sich nichts geändert.

Der Duisburger Schiffsmakler kann es sich leisten, für viel Geld wenig zu bieten. Proteste von Seiten des Flüchtlingsrats, von Kirchen und Ärzten hat die Stadt Duisburg bislang stets zurückgewiesen. Norbert Giese: Die Schiffe seien zwar „keine ideale, sicher aber eine menschenwürdige Unterkunft“. Bis zum Sommer beziehungsweise Herbst des nächsten Jahres sollen die Schiffe belegt bleiben. Solange laufen die Mietverträge. Viel zu lange, meint der Flüchtlingsrat und fordert, daß die Schiffe so schnell wie möglich als Unterkünfte für Flüchtlinge aufgegeben werden.

Die Frauen haben Angst

Was zunächst als „Notlösung“ (Sozialamtsleiter Meusinger) gedacht war, ist somit wenigstens für Monate zum Dauerzustand geworden. In der qualvollen Enge ist die Stimmung zwangsläufig gereizt. Feindschaften zwischen verschiedenen Gruppen und Nationalitäten entladen sich gelegentlich in Schlägereien. „Ich habe Angst um meine Familie“, berichtet ein Jugoslawe auf der „Basilea“, der seinen Namen lieber nicht nennen will. „Eigentlich müßte ich zu einer Operation ins Krankenhaus, aber ich kann meine Frau und die Kinder hier nicht allein lassen.“ - „Unsere zwölfjährige Tochter“, ergänzt seine Frau, „muß fast den ganzen Tag in der Kabine bleiben. Die Frauen hier haben alle Angst, aber wir dürfen nichts sagen, die Männer bedrohen uns.“ Nach Beobachtungen von SozialarbeiterInnen tyrannisieren Männer nicht nur alleinstehende Frauen, sondern toben ihre Aggressionen auch bei den Ehefrauen aus. Drohungen und Gewalt gehören an Bord zum Frauenalltag. „Da hilft uns die Polizei auch nicht“, sagt die Jugoslawin. Die hat auf den Schiffen vor allem wegen Ladendiebstählen und anderer Eigentumsdelikte zu tun. „Wo viele Menschen zusammen sind, gibt es auch mehr Delikte“, heißt es im Duisburger Präsidium dazu lapidar.

Die Duisburger Sozialbehörden fühlen sich angesichts der öffentlichen Kritik inzwischen einer Kampagne ausgesetzt. „Als wir die Schiffe angemietet haben, hatten wir hier schon Turnhallen belegt“, rechtfertigt sich Sozialamtsleiter Paul Meusinger. Inzwischen sind die Turnhallen längst geräumt, und noch im Sommer gab die Stadt Duisburg den Bau von zwei Heimen für AsylbewerberInnen auf, nachdem sich die Anwohner massiv gegen die „Asylanten“ zur Wehr gesetzt hatten. Die Flüchtlinge fühlen sich nun schlichtweg aufs Schiff abgeschoben.

„Es ist sehr schwer hier“, klagt auch der Kurde, der für die nächsten Wochen oder Monate sein Quartier auf der „Androna“ in Herne bezogen hat. Sozialdezernent Schäfer jedoch sieht „keine andere Möglichkeit“, in der dichtbesiedelten Stadt sei der Wohnungsmarkt ohnehin leergefegt.

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