: Vom musikalischen Teppich zur Auslegeware
■ taz-Gespräch mit Peter Schulze-Carstens (Radio Bremen, Jazz-und Popredaktion), der für zwei Jahre aussteigt / Zur Rundfunklandschaft
Seit dem ersten Januar fehlen bei Radio Bremen zwei profilierte 'Jazz-und Pop'-Redakteure: Volker Steppat und Peter Schulze-Carstens haben sich jeweils für zwei Jahre beurlauben lassen. Aus diesem Anlaß sprach die taz mit Peter Schulze-Carstens über die Veränderungen in der bundesdeutschen Rundfunklandschaft.
taz: Was hat Euer (Dein) vorübergehender Abschied mit den Veränderungen in der Medienlandschaft zu tun?
Schulze-Carstens: Natürlich hat das auch damit zu tun: ich denke, daß das öffentlich-rechtliche Radio auf die Herausforderung der privaten Anstalten grundsätzlich falsch reagiert hat. Es hat in aller Regel Selbstmord aus Angst vor dem Tod begangen, indem es sich den Privaten angepaßt hat, bevor es die überhaupt gab. Das hat, nicht nur bei Radio Bremen, zu einer sehr kurzatmigen Programmpolitik geführt.
Heute geht es ja fast ausschließlich darum: wie hoch liegt die Einschaltquote?
Ja, das ist genau die Crux: Erst die Vielfalt ermöglicht die Auswahl, nicht die Vielzahl. Und solange die Einschaltquote der gemeinsame Leisten ist, über den Öffentlich-Rechtliche und Private gleichermaßen geschlagen werden, werden auch die öffentlich-rechtlichen Programme einfältig werden. Hausintern wird in den öffentlich -rechtlichen Anstalten, auch das ist kein Spezifi
kum von Radio Bremen, die Einschaltquote als Hebel benutzt zur Zentralisierung von Programmentscheidungen. D.h.: es bilden sich völlig inkongruente Kompetenzen heraus, hie hochbezahlte Fachleute in den einzelnen Programmsparten, da noch höher bezahlte Hierarchen, „Fachleute“ in Sachen Einschaltquoten.
Dummdreiste Macht
Inhaltliche Sendekonzepte werden mit dem formalen Einschaltquotenargument abgebügelt, inhaltliche Argumentation findet z.T. gar nicht mehr statt. Ein Redakteur, der eine bestimmte Verantwortung hat und auch ein bestimmtes Vertrauen braucht, ist heute gar nicht mehr so gefragt. So wird der Kopf, also das geistige Potential der Programmmacher, immer mehr zum störenden Wasserkopf. Als Erfüllungsgehilfen sind wir eigentlich zu hoch bezahlt. In Teilbereichen der Hierarchie hat sich eine zuweilen dummdreiste Machtausübung herausgebildet, die auf Desintegration setzt, obwohl in diesen harten Zeiten gerade Integration das Gebot der Stunde wäre.
Wenn Du das so düster und gleichzeitig so realistisch beschreibst: Worin könnte denn die Hoffnung bestehen, daß ein solcher Trend zur Umkehr gebracht wird?
Das wird nur über einen ziemlich rapiden Niedergang gehen, fürchte ich. Auch den Alkoholis
mus wird man nicht nur dadurch heilen können, indem man ihm gut zuredet! Ich glaube schon, daß es zu einer ziemlich großen Krise der öffentlich-rechtlichen Anstalten kommen wird - die ist ja auch schon da!
Wenn es dazu kommt: ist dann nicht zu befürchten, daß zumindest von bestimmter politischer Seite gesagt wird: Wofür brauchen wir überhaupt noch öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
Das passiert ja heute schon. Das war doch der eigentliche Grund für die CDU-Medienpolitik damals, daß sie eine Entpolitisierung wollten.Zu viel Hören kann leicht zu geistiger Verstop
fung führen. Und das ist implizit das Ziel aller sogenannten Massenprogramme, Strategien zu entwickeln, daß möglichst viele Leute möglichst lange angeschaltet bleiben.
Größer als Gorleben
Erlaubt ist'was nicht stört. Wie sollen Leute, die dergestalt sanft bombardiert zum Weghören konditioniert werden, noch einander zuhören? Es ist an der Zeit, auch für die Medien ein ökologisches Bewußtsein zu wecken. Visionär sagte schon Ernst Albrecht in den siebziger Jahren in Bezug auf die Mediendebatte: „Das ist ein Ding, größer als Gorleben.“ Das hat aber bis heute niemand so
recht begriffen. Wir haben mittlerweile wirklich den Trend vom Musikteppich zur musikalischen Auslegeware. Aber ich denke schon, daß es immer noch Leute gibt, die Informationen haben möchten und nicht nur bedudelt werden wollen.
Heißt das, daß die eigentliche Hoffnung letztlich der Hörer ist, der sich dann irgendwann bemerkbar macht?
Wackersdorf wurde ja auch nicht gerade von der Atomlobby verhindert, oder? Nur: bei den Medien versucht jedes noch so alternative Grüppchen, mitzumischen statt zu verhindern. Es ist doch verrückt, was z.B. in den
USA läuft: Die Amerikaner sind wirklich eine sprichwörtlich schlecht informierte Gesellschaft. Das liegt nicht daran, daß sie so viele Medien haben, sondern daran, daß sie so viele Medien haben, die eigentlich an Informationen so gut wie nichts bringen! Immer in Krisenzeiten haben sich jedoch bestimmte Medien aufgetan, wie die „Pacifica Radio Stations“ zu Zeiten des Vietnam-Krieges, die auf einmal mit Informationsprogrammen wirklich kommerziell erfolgreich arbeiteten.
Das US-Bescheuertste
Bei uns gibt es noch nicht genug private Programme, daß solche Spezifizierungen stattfinden könnten. Was hier übernommen wird, ist in den USA längst Gegenstand von praktischer Kritik in Form der „publik radio stations“ oder der „college radio stations“, die eben den Schwachsinn der dortigen kommerziellen Stationen nicht mitmachen. Und die haben eine wachsende Hörerzahl! Da sehe ich die Hoffnungen. Das Verrückte ist nur, daß wir hier in Europa ausgerechnet das Bescheuertste aus den USA übernehmen, um damit das Programm kaputtzumachen, worauf sich die alternativen amerikanischen Stationen als Vorbild beziehen - das ist etwas, was man einem vernünftig denkenden Menschen einfach nicht einleuchtend machen kann, und es ist auch nicht einleuchtend. Fragen: Jürgen Schmit
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