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Vom VEB ins Asyl

Zum Exodus der Vietnamesen aus der DDR  ■ K O M M E N T A R

Das (noch) sozialistische Bruderland DDR hat Vietnamesen (und Mosambikaner, Angolaner und Kubaner) ins Land geholt, um Lücken auf dem eigenen Arbeitsmarkt zu stopfen. Das sozialistische Bruderland Vietnam hat Arbeitskräfte geschickt, um die eigene Arbeitslosigkeit zu lindern - und um sich für die Unterstützung der DDR während des Vietnamkrieges zu bedanken, vermuten einige. Die Tatsache, daß die entsprechenden Abkommen bisher geheimgehalten werden, spricht für diese Vermutung. Jedenfalls schienen sich die ökonomischen Interessen zweier Länder perfekt zu ergänzen - nur spielen die, die da hin- und hergeschickt wurden, nicht mehr mit. Zwar sieht das Abkommen die Möglichkeit der Ausbildung für Vietnamesen vor - doch Ausbildung wozu? Die meisten, die in den letzten Tagen in den Westen gekommen sind, wurden gerade einmal kurz angelernt für Arbeiten, die für DDR-Bürger immer weniger attraktiv sind. Daß sich diese Menschen nicht wie Produktionsroboter auf einen neunstündigen Arbeitstag im VEB und einen Platz im Wohnheimghetto reduzieren ließen, fiel den Verantwortlichen erst auf, als sie in den Warteschlangen mit DDR-Bürgern um Waren konkurrierten. Man reagierte, typisch deutsch, mit Regulierung der Ausfuhrmöglichkeiten und mit Diskriminierung in den Läden und auf der Straße.

Seit dem 9. November sind nicht nur die Mauer, sondern für manche DDR-Bürger auch Hemmschranken für Ausländerfeindlichkeit und Rassismus gefallen. Auch eine Form der Annäherung zwischen beiden deutschen Staaten. Über 2.000 Vietnamesen haben die Konsequenz gezogen, sich die Reisefreiheit einfach genommen und sich auf deutsch -deutschen Euphoriewellen unter dem Brandenburger Tor in den Westen tragen lassen. Was sie erwartet: das Stigma des „Asylanten“ anstelle des Ausländers, der im VEB die Dreckarbeit macht, danach ein zermürbendes Verfahren, Arbeitsverbot und die Verteilung in Bundesländer, wo sie ihren Fuß nicht einmal über den Landkreis hinaussetzen dürfen - und dieselben freundlichen Deutschen.

Andrea Böhm

Siehe Seite 23)

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