piwik no script img

Ein internationales Lokalderby

Gesamtberliner Austausch von Nettigkeiten beim Eishockey zwischen Ost (Dynamo) und West (Preußen), und nach dem 3:4 (1:1, 1:1, 1:2) gibt's einig‘ Freude von 'Bild‘ bis 'Junge Welt‘: „DDR-Eishockey lebt“  ■  Aus West-Berlin Ralf Sotscheck

Es sollte „das Sportereignis in Eishockey-Berlin seit Jahren“ werden, hoffte Preußen-Chef Hermann Windler. Und die Berliner Presse hatte das Freundschaftsspiel zwischen dem BSC Preußen Berlin (West) und dem SC Dynamo Berlin (Ost) am Dienstag abend flugs zum Finale um die inoffizielle Berliner Meisterschaft erklärt.

Vor dem Anpfiff zeigte Windler westliche Selbstlosigkeit: Im Namen des Preußen-Sponsors Toshiba schenkte er den Gästen ein Telefax-Gerät, weil es ja wohl „noch einige Kommunikations-Schwierigkeiten in der DDR“ gebe. Der SC Dynamo indes ließ sich die Gelegenheit entgehen, im Gegenzug etwas „Rohr-frei“ seines neuen Westberliner Sponsors Brauer zu überreichen.

Die Kommunikations-Schwierigkeiten lagen jedoch eher auf Seite der Gastgeber: Der offizielle Spielbericht war mit „Internationales Freundschaftsspiel“ überschrieben, was auf der Pressekonferenz etwas Unmut auslöste; auf den Plakaten war das Spiel als „Städtevergleich“ angekündigt worden, während es auf den Programmheften „Lokalderby“ hieß.

Beim letzten Aufeinandertreffen, vor 13 Jahren, hatten die Preußen ihre Ostberliner Kollegen relativ mühelos aus dem Europapokal der Landesmeister geworfen. Auch diesmal galten sie als Favorit: Vor Tagen noch gewann der Bundesligafünfte an der Düsseldorfer Brehmstraße, und in der DDR gehört Eishockey schon lange nicht mehr zu den geförderten Sportarten. So fiel es den wenigen verbliebenen Vereinen immer schwerer, das nötige Geld für die teure Eishockey -Ausrüstung aufzutreiben. Der Sportverband der DDR hatte 1969 kurzerhand die Oberliga aufgelöst, um auf den Eisflächen Platz für die medaillenträchtigen KunstläuferInnen zu schaffen. Seitdem spielen die beiden Dynamo-Teams aus Ost-Berlin und Weißwasser den Meister unter sich aus.In der nächsten Saison sollen sie Konkurrenz aus der sächsischen Industriestadt Crimmitschau bekommen.

Die Zurücksetzung der Sportart führte zu absurden Situationen: Der Trainer des SC Dynamo und der DDR -Nationalmannschaft, Joachim Ziesche, behauptet, daß sein DDR-Team Anfang der 70er Jahre absichtlich verlieren mußte, um nicht in die A-Gruppe der Weltmeisterschaft aufzusteigen, weil das mit hohen Kosten verbunden gewesen wäre. Dafür habe es gar eine Prämie gegeben. Als zum Schrecken der Funktionäre 1976 die Qualifikation für die Olympischen Winterspiele auf dem Eis erkämpft wurde, mußte die Mannschaft trotzdem zuhause bleiben.

Am Dienstag fiel das Interesse am ersten freundschaftlichen gesamtberliner Bodycheck geringer als erwartet aus. Nur knapp 4.000 West-Zuschauer wollten für das internationale Lokalderby Eintritt bezahlen, und selbst mit Hilfe der DDR -Besucher, die umsonst ins Stadion durften, konnte die kleine Eishalle bei weitem nicht gefüllt werden. Die Daheimgebliebenen ersparten sich einen gräßlichen Eishockey -Abend.

Das Spiel wurde von geradezu beängstigender Höflichkeit beherrscht. Der Ostberliner Schiedsrichter Peter Prusa hätte genausogut eine Zechtour durch Kreuzberg machen können. Die West-Preußen vermieden jeden Körperkontakt mit den Ost -Dynamos, wohl um den Gästen nicht die teure Ausrüstung zu beschädigen. Lediglich der Ausländer Tom O'Regan scherte sich nicht um das Nettigkeits-Gebot und zettelte eine kurze, aber heftige Rauferei an. Verschärfend kam hinzu, daß sein DDR-Opfer ausgerechnet Torsten Deutscher hieß.

Die Ostberliner waren fast über das gesamte Spiel überlegen und hatten die deutlich besseren Chancen, was jedoch weniger an brillanten Kombinationen als an der verschnarchten Spielweise der Preußen-Abwehr lag. Doch beim Toreschießen hielt sich der 15malige DDR-Meister zurück, so daß die Preußen auch ohne jeden Ehrgeiz mithalten konnten.

Das Spiel plätscherte unter den sarkastischen Zurufen der Fans so vor sich hin, als der Stadionansager den genialen Einfall hatte, den „Sportpalast-Walzer“ in ohrenbetäubender Phonstärke über die Lautsprecheranlage zu jagen. Das weckte zumindest die Dynamo-Mannschaft auf, die prompt durch einen wunderbaren Weitschuß ihres besten Spielers, Jan Schertz, den Siegtreffer zum 4:3 erzielte. Das wiederum veranlaßte die erbosten West-Zuschauer, in den restlichen fünf Minuten lauthals ihr Geld zurückzufordern - vergeblich.

Preußen-Trainer Olle Öst erklärte das lustlose Schaulaufen seiner Mannschaft mit „fehlender Einstellung und Motivation“, die ja so wichtig im Eishockey seien. Dynamos Co-Trainer Hartmut Nickel war rundherum zufrieden und erklärte, daß sein Team lieber heute als morgen in der Bundesliga mitspielen würde. Die DDR-Zeitung 'Junge Welt‘ konstatierte gestern begeistert, daß das DDR-Eishockey „trotz aller Unkenrufe nach wie vor lebt“, und zeigte dabei seltene Einigkeit mit der 'Bild'-Zeitung („Das DDR-Eishockey lebt“).

Tore: 0:1 Hiller (13. Min.), 1:1 Schmid (19.), 2:1 Holzmann (31.), 2:2 Naster (38.), 2:3 Graul (46.), 3:3 Silk (51.), 3:4 Schertz (55.).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen