: 200 gegen Zwanzigtonner
■ Bürger von Ketzin (DDR) blockierten Mülltransporter aus West-Berlin Die Volkspolizei war voll solidarisch / LKW-Fahrer quengelten / Westberliner fehlten
Normalerweise donnern die Zwanzigtonner in halsbrecherischem Tempo über die engen, von Bäumen gesäumten Landstraßen, die von West-Berlin in das 25 Kilometer entfernte Ketzin führen. Alle zwei Minuten biegt - normalerweise - einer Transporter am Ortseingang des Städtchens Ketzin scharf nach rechts. Dann donnern die raupenähnlich gerippten Schwerlaster mit achtzig Sachen weiter zur drei Kilometer entfernten Mülldeponie Vorketzin. Meist sind es die orange lackierten Transporter der BSR - mit Hausmüll und Giftabfällen; oft biegen auch die blauen Sattelschlepper der Spedition Hafemeister mit Schutt und Erde um die Ecke; ab und zu schickt eine Privatfirma wie Lepkojus gelbe Giftmüllcontainer nach Vorketzin, mit grünen Plastikplanen abgedeckt; und manchmal kommen die Mülltransporter sogar aus Hessen und dem fernen Stuttgart.
Gestern nachmittag mußten die Fahrer scharf bremsen, gleich nach der Biege. An die 200 Menschen standen im Weg, genauer gesagt: Sie liefen in Richtung Deponie. Vorneweg trugen sie rote Transparente: „Stoppt die Müllimporte in die DDR.“ Und hinter ihnen stauten sich die Zwanzigtonner.
Das sei wohl die erste Blockade, die die DDR gesehen hat, vermutete Joachim Wendel, Gründer der Ketziner „Bürgerinitiative 89“. Die Sache war trotzdem schlau eingefädelt. Die Ketziner stellten sich den Lastern nicht frontal in den Weg, sondern nahmen sich einfach ihre Straße zum Demonstrieren. Eine halbe Stunde stellten sie sich still vor die Deponieeinfahrt. Dann bummelten sie zurück ins Dorf.
Bis kurz vor 5 Uhr stauten sich die Laster. Das Fähnlein der Volkspolizei, das in den letzten Wochen schon einige Demonstrationen im ganzen Landkreis „gesichert“ hatte, war hochzufrieden: „Wir stehen voll hinter den Forderungen“, meinte ihr Anführer. „Wer weiß, was das für Auswirkungen auf unsere Kinder und Kindeskinder hat.“ Der Ketziner Bürgermeister war nicht erschienen, dafür eine Reihe von Sachbearbeiterinnen aus dem Rat der Stadt.
Die Ketziner „Bürgerinitiative 89“ hatte erst am Vorabend zu der schleichenden Blockade aufgerufen, als Auftakt zu einem deutsch-deutschen Aktionsmonat gegen den Mülltourismus. Spontan ließen viele Ketziner ihre Arbeit liegen. „Wir wollen ja noch eine Weile hier leben“, meinte ein Mann, der erst eine halbe Stunde vorher von der Demo erfahren hatte, nun mitlief und auf diesem Weg einige Überstunden abbummelte.
„Schwer in Ordnung“ sei diese Demo, nur ein „paar Jahre zu spät“, fand sogar ein Hafemeister-Fahrer, der auf seinem Rückweg in der Demo steckenblieb. Doch sein von der Aktion überrumpelter Kollege, auf dem Hinweg blockiert, beschwerte sich bei ihm: „Hättste wenigstens mal geblinkt!“ Während die Demonstranten vor der Deponieeinfahrt standen, stauten sich auf dem Parkplatz die Zwanzigtonner der BSR. Um halb vier war es erst einer, zwanzig Minuten später standen schon zehn.
Überrascht waren die BSR-Kutscher nicht; seit drei Tagen hatten sie Gerüchte gehört. Der Demo-Termin traf sie trotzdem hart: Er traf sich mit der Nachmittagsschicht der Kutscher. Der erste Fahrer - um halb drei hatte er seinen MAN-Truck in der Umladestation Ruhleben gestartet - bog in die Deponiestraße ein, als die Demonstranten schon fast vor dem Tor standen. Er fand rasch Gesellschaft. Keine zwanzig Minuten später standen zehn BSR-Transporter in Reih und Glied. Und warteten.
„Ich will wieder zurück“, quengelte ein Fahrer. Ein anderer Kutscher schimpfte: „Morgens schmeißen sie ihren Müll in die Tonne und nachmittags stehen sie dann hier.“ Offenbar hielt er die Demonstranten für Westberliner - fälschlich, denn gestern waren die Ketziner praktisch unter sich. Das kann sich in den nächsten Wochen allerdings ändern. Am 11. und am 25. Januar sind weitere Blockaden geplant, in Vorketzin, Schöneiche, Röthehof und in Schönberg bei Lübeck. Den Weg kennt jeder BSR-Fahrer: Über Staaken, Wustermark und Falkenrehde geht es nach Ketzin. Am Ortseingang scharf rechts in die Biege.
hmt
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