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Deutscher Status quo

■ Wilfried Loth: „Ost-West-Konflikt“

Die Revolution in Osteuropa und in der DDR, der Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“ und die Aktualisierung der nach wie vor ungelösten „deutschen Frage“ lassen die in dem vorliegenden Taschenbuch behandelten Probleme höchst aktuell erscheinen, obgleich die jüngsten Entwicklungen nicht berücksichtigt werden konnten. Elf Beiträge des in Essen lehrenden Historikers Wilfried Loth sind in dem Band zusammengefaßt. Es geht um die Entstehung des Ost-West-Konfliktes, das Verhältnis der Bundesrepublik zu ihren westlichen und östlichen Nachbarn und vor allem immer wieder um die deutsche Frage.

Loth befürwortet die Westbindung der Bundesrepublik. Aber er gehört nicht zu jenen, die den Status quo für unantastbar halten und eifrig beteuern, die auf Konrad Adenauer zurückgehende Politik sei damals wie heute ohne Alternativen. Gegen eine solche Geschichtsschreibung wendet er zu Recht ein: „Verantwortlichkeiten verschwinden so hinter der Tragik des Geschehens, Alternativen kommen zumindest für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr in den Blick, und die Geschichte der Bundesrepublik wird zur Erfolgsstory ohne Wenn und Aber. Die politische Nutzanwendung, die sich aus einer solchen Sicht der deutschen Vergangenheit ergibt, läßt dann in der Regel auch nicht auf sich warten: Appelle zur Bewahrung des Status quo, häufig verbunden mit der Sorge, er könne durch destruktive Kräfte in Frage gestellt werden, und machmal auch der Wunsch nach Wiederherstellung der Verhältnisse, die vor 1968 unangefochten galten.“

Dem Autor ist zuzustimmen, wenn er meint, dieses Geschichtsbild gebe nicht selten die Auffassungen der Sieger in den zeitgenössischen Auseinandersetzungen wieder. Andererseits wendet er sich aber auch gegen „nationalneutralistische“ Tendenzen, wie sie insbesondere seit der Nachrüstungsdebatte in der politischen Linken wie der politischen Rechten artikuliert werden (und jetzt wieder aktuell werden!).

In der Diskussion um die deutsche Frage und den Status quo definiert Loth seine Position so: „Ich plädiere nicht dafür, den Status quo in der deutschen Frage als sakrosankt anzusehen und aus einem vordergründigen Realismus jede Veränderung dieses Status quo von sich zu weisen. Aber ich plädiere dafür, auch die positiven Aspekte dieses Status quo zu sehen - das heißt: nicht nur die Teilung zu beklagen, sondern in dieser Teilung auch eine historisch gewordene, mit vielen Opfern und Irrwegen bezahlte Lösung für das Problem der staatlichen Existenz der Deutschen in Europa zu sehen.“

Kann die deutsche Teilung aber wirklich als „Lösung“ betrachtet werden? Man sollte nicht vergessen, daß sie auf der Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts des deutschen Volkes beruht. Vielleicht ist es von einem westdeutschen Standpunkt aus auch leichter, die „positiven Aspekte“ des Status quo zu sehen, als dies für viele DDR-Bürger sein mag. Die Demonstrationen in der DDR und sämtliche Meinungsumfragen in der Bundesrepublik Deutschland zeigen auf jeden Fall, daß die Mehrheit der Deutschen den Status quo der „Zweistaatlichkeit“ keineswegs als endgültige „Lösung“ akzeptiert.

Zuzustimmen ist dem Autor, wenn er immer wieder die Offenheit der historischen Situation unterstreicht. In seinen Beiträgen wird deutlich, daß das Endergebnis, nämlich die deutsche Teilung, im nachhinein unabwendbarer aussieht, als es damals schien und manchen heute aus politischen Gründen scheinen will. Jedenfalls ist es zu kurz gegriffen, die Spaltung Deutschlands als zwangsläufige Folge des Zweiten Weltkrieges oder gar als unabwendbare Strafe für die Verbrechen des Nationalsozialismus zu begreifen. Loth betont zu Recht, daß die „Stalin-Noten“ von 1952, also der sowjetische Vorschlag eines neutralen Gesamtdeutschlands, keineswegs bloß ein Propagandabluff waren (wer weiß, ob Gorbatschow uns nicht bald eine neue Stalin-Note offerieren wird?). Und auch die Amerikaner hätten im Sommer 1948 die Neutralisierung Deutschlands ernsthaft erwogen. (Da wäre uns ja einiges erspart geblieben! d.S.)

Diesen Überlegungen der Siegermächte entsprachen wichtige Strömungen in Deutschland selbst. In den ersten Jahren der Besatzungsherrschaft dominierten Konzepte einer „dritten Kraft“: Deutschland und Europa sollten die Rolle einer Brücke zwischen Ost und West spielen. „Bedenkt man zudem, daß das 'Dritte-Kraft'-Konzept über die traditionellen Milieugrenzen hinweg Verfechter in den unterschiedlichsten politischen Lagern fand und daß es an eine ganze Reihe objektiver Gegebenheiten deutscher Politik anknüpfen konnte, so wird man es ohne weitere Präzisierung doch als ein im Nachkriegsdeutschland zumindest grundsätzlich merhheitsfähiges Konzept einstufen können.“

Unter diesen Voraussetzungen war es für Konrad Adenauer nicht einfach, sein Konzept der Westbindung politisch durchzusetzen. Daß es ihm dennoch gelang, lag nicht zuletzt auch an der sowjetischen Politik: Zu nennen sind hier Ereignisse wie die Berlinblockade und der Koreakrieg.

Loths Buch zeichnet sich durch Abgewogenheit und Bemühen um Differenzierung aus: Es geht ihm nicht um eine Anklage gegen die Adenauersche Politik, deren Ergebnis - die Westbindung der Bundesrepublik - er befürwortet. Aber er wendet sich zugleich dagegen, jene Position pauschal zu diffamieren, die von den Anhängern des Neutralitätsgedankens (zum Beispiel Ulrich Noack) vertreten wurde. Immerhin habe es innerhalb des neutralistischen Lagers auch durchaus realistische Ansätze zu einer Deeskalation des Ost-West -Konflikts gegeben.

Rainer Zitelmann

Wilfried Loth: Ost-West-Konflikt und deutsche Frage. Historische Ortsbestimmungen. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1989, 215 Seiten, 12,80 DM.

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