Erster Erfolg für Demonstranten in Aserbaidschan

■ Grenze zum Iran soll geöffnet werden / Iraner sprechen von religiösem Aufstand / Nationalistische Ziele der aserbaidschanischen Volksfront / Aserbaidschanische Regierung sieht Schlag gegen die Perestroika

Berlin (dpa/afp/ap) - Einen ersten Erfolg haben die Bewohner der aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan errungen, die seit Sonntag militant an der Grenze zum Iran demonstriert hatten, wobei es einen Toten gab. Die sowjetischen Behörden erklärten sich bereit, die Grenze für die Bewohner der Region zu öffnen um ihnen einen Handel mit den Aserbaidschanern auf der iranischen Seite zu ermöglichen. Andererseits hat nicht nur die sowjetische Regierung, sondern auch die Regierung Aserbaidschans die Unruhen als einen Schlag gegen die Perestroika verurteilt.

Begonnen hatte der Konflikt bereits am 4. Dezember 1989 mit Demonstrationen an der Grenze zwischen der „Autonomen Sowjetrepublik Nachitschewan“ und dem Iran. Am 12. Dezember hatte die Volksfront des Landes ein Ultimatum bis zum 31.12. gestellt, nach welchem die Grenzbefestigungen von den Demonstranten beseitigt werden sollten. Das wurde anschließend auch versucht. Inzwischen haben die Unruhen jedoch auf das übrige Aserbaidschan übergriffen. Die Volksfront Aserbaidschans forderte eine offene Grenze, so daß nicht nur der Handel frei die Grenze passieren kann, sondern auch regelmäßige Familienbesuche stattfinden können. Außerdem solle es möglich werden, Eisenbahnzüge von Aserbaidschan nach Nachitschewan über iranisches Territorium zu leiten, so daß sie nicht Armenien, das auf der sowjetischen Seite die Exklave umschließt, durchqueren müssen.

Die Reaktionen auf die Grenzunruhen waren bisher unterschiedlich. Während die sowjetische Nachrichtenagentur 'Tass‘ ihre Informationen vom KGB bezog und von einer durch Alkohol und Drogen aufgeputschten Menge von Rowdies sprach, protestierte die iranische Regierung wegen einer sowjetischen Verletzung des Grenzvertrages von 1957. Inzwischen hat der Iran umgeschaltet. In der Tageszeitung 'Islamische Republik‘ würden die Demonstranten als religiös motivierte Glaubenskämpfer dargestellt, deren Ruf auf iranischer Seite nicht ungehört verhallt sei. Auch hier sei man mit dem Ruf „Allah Akbar“ an die Grenze geeilt.

Ganz entspricht auch diese Version nicht den Intentionen der aserbaidschanischen Volksfront. Sie will als letztes Ziel eine Wiedervereinigung der beiden getrennten Teile des Landes, des iranischen Aserbaidschan mit der Hauptstadt Täbris und des sowjetischen mit der Hauptstadt Baku. Das wird jedoch nicht ohne Schwierigkeiten abgehen, denn in weitaus stärkerem Maße als die Sowjetunion verweigert die islamische Republik ihren nationalen Minderheiten ein Recht auf Eigenexistenz. Die sowjetischen Aserbaidschaner haben immerhin das Recht auf die öffentliche Verwendung ihrer eigenen Sprache. Die Volksfront erstrebt eher einen Nationalstaat. Die engen Beziehungen zum iranischen Landesteil waren 1946 letztmalig gestärkt worden. Damals scheiterte auf westliches Drängen hin der sowjetische Versuch, das iranische Aserbaidschan zu einem Satellitenstaat unter Führung der Tudeh-Partei zu machen.