: „Bereit sein, Regierungsverantwortung zu übernehmen“
Konrad Weiß (Demokratie jetzt) zum Wahlbündnis, das die Opposition für die Volkskammerwahlen angekündigt hat ■ I N T E R V I E W
taz: Konrad Weiß, die Vertreter der sechs am runden Tisch verhandelnden Parteien und Bürgerbewegungen der DDR -Opposition haben am Mittwoch förmlich bekräftigt, daß sie zu den Volkskammerwahlen im Mai 1990 in einem Wahlbündnis mit einem gemeinsamen Programm und gemeinsamen Kandidaten antreten wollen. Was ist das Ziel dieses Bündnisses?
Weiß: Es geht uns eindeutig darum, die bisher regierenden politischen Kräfte abzulösen. Gerade die Tagung des runden Tisches am Mittwoch hat erneut bewiesen, daß die Regierung Modrow nur beschränkt handlungsfähig ist. Sie hat kein überzeugendes Wirtschaftskonzept, sie hat kein ökologisches Konzept, und sie hat kein neues Energiekonzept. Und sie geht bei der Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit bzw. dessen Vorläuferin nicht energisch vor, sondern hat am runden Tisch vorbei sogar die Bildung eines Amtes für Verfassungsschutz und eines Amtes für militärische Abwehr beschlossen. Anspruch des Wahlbündnisses ist es, nach den Wahlen die Regierung der DDR zu stellen. Und ich denke, die Opposition hat genügend gute Köpfe, um dieses Land zu verändern und zu einem wirklich demokratischen Staat zu machen.
Hinter diesem Wahlbündnis steckt aber doch die Einschätzung, daß die SED immer noch so stark ist, daß Einzelparteien allein ihre Macht bei einer Wahl nicht brechen könnten.
Man muß sicher davon ausgehen, daß die Bürgerinnen und Bürger in der DDR sich in einem demokratischen Lernprozeß befinden, und man kann nicht erwarten, daß sich innerhalb von wenigen Monaten in den Köpfen der Menschen etwas völlig ändert. Man muß auch mit einem gewissen Beharrungsvermögen rechnen und die Kampagnen in Betracht ziehen, die die SED jetzt auch gegen Vertreter der Opposition startet. An der Basis der SED hat sich wenig geändert. Da sitzen immer noch die alten Funktionäre in den Betrieben und Medien, die zunehmend auch die Oppositionsparteien behindern. Es kommt darauf an, neue politische Kräfte zu installieren. Und der beste Weg dazu ist, dies gemeinsam zu tun.
Wie soll dieses „gemeinsam“ aussehen? Gibt es denn eine gemeinsame Plattform, gemeinsame Kandidaten?
Es gibt diese Plattform noch nicht. Es gibt Überlegungen über ein gemeinsames Wahlprogramm und Modalitäten. Aber über Inhalte und Personen zu reden ist jetzt noch zu früh. Das muß vor allem in den Vertreterversammlungen der Bürgerbewegungen und Parteigremeien diskutiert und beschlossen werden. Aber ich möchte bekräftigen: Wichtig ist unser Wille, am 6.Mai in dem Wahlbündnis 90 gegen die etablierten Parteien anzutreten - nicht nur gegen die SED, sondern auch gegen die CDU, die sich durch ihre nationalistischen und nationalen Tendenzen sehr im Aufwind befindet, und gegen die LDPD, die versucht, mit Wirtschaftsversprechen an selbständige Wähler zu gewinnen.
Nun sind ja die in dem Bündnis vertretenen Gruppen und Parteien in ihren politischen Vorstellungen recht disparat. Das Spektrum geht von der Vereinigten Linken bis zum Demokratischen Aufbruch, der auch mit der CDU in Bonn Gespräche führt und sich gerade selber über politische Kontroversen gespalten hat. Wie tragfähig kann dieses Bündnis überhaupt sein?
Ich denke, es gibt in vielen Grundpositionen gemeinsame Ansichten. Das zeigen die Parteiprogramme und auch die Aussagen dieser Gruppen sehr deutlich. Man wird sicher in einem langen und auch sehr mühseligen Verhandlungsprozeß den Minimalkonsens finden müssen, auf dem man eine Regierungsplattform aufbaut. Es gibt aber bestimmte Grundwerte, die bei allen sechs vertretenen Gruppen und Parteien außer Frage stehen, und die sollten die Basis sein, um zu einem Regierungsbündnis zu kommen. Es ist natürlich nur ein Bündnis für die erste Legislaturperiode. In diesen vier Jahren hätten dann aber die Parteien und politischen Vereinigungen Zeit, sich selber zu stabilisieren.
Gibt es Überlegungen, ob man als gemeinsame Liste auftritt und zu welchen Anteilen die jeweiligen Gruppen und Parteien in dem Bündnis berücksichtigt werden sollen?
Das ist im Detail noch nicht diskutiert worden und kann auch nicht diskutiert werden, solange es das Wahlgesetz noch nicht gibt. Einig waren wir uns darin, daß wir Vertreterinnen und Vertreter aus allen Gruppierungen und Parteien unterstützen und als Kandidaten vorstellen werden und daß wir - wenn uns die Wählerinnen und Wähler mit ihrem Mandat betrauen - Regierungsverantwortung übernehmen werden. Wir werden sicher in absehbarer Zeit auch mit Köpfen präsent sein. Was die Wahlen angeht, gibt es momentan noch eine große Unentschlossenheit im Lande, und ich denke, daß die nicht erkennbare Einheit der Opposition zu dieser Unentschlossenheit beigetragen hat. Wichtig ist, daß die Opposition begreift, daß Opposition sein auch heißt, politische Verantwortung zu übernehmen. Da haben wir alle noch unsere Schwierigkeiten, weil das auch persönlich weitreichende Konsequenzen hat. Aber wir müssen diesen Schritt wagen.
Beinhaltet dieses Bündnis auch, daß keine der beteiligten Parteien - auch nicht die SDP - für eine Koalition mit der SED zur Verfügung steht?
Wir sechs legitimierten Vertreterinnen und Vertreter am runden Tisch und diejenigen, die noch dabeigesessen haben, sind uns da einig. Aber endgültig kann diese Frage nur von den Parteitagen und Vertreterversammlungen beantwortet werden. Und da vermag ich noch nicht zu prognostizieren, wie das an der Basis der einzelnen Parteien und Bewegungen aussieht. Ich denke, die Bereitschaft, mit irgendeiner der alten Parteien zu koalieren, ist bei keiner der sechs Gruppierungen und Parteien groß. Deswegen ja auch die Hoffnung auf das Wahlbündnis, weil wir alle glauben: wenn wir zusammengehen, haben wir eine Chance.
Interview: Vera Gaserow
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