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VON FOTOGRAFIEN

 ■  Die erste Fotografie: Eigentlich ein Fehler

Am 7.Januar 1990 jährt sich zum 151. Mal die Mitteilung Aragos an die Academie des Sciences über die Erfindung Daguerres. Damit geht das 150. Jubeljahr der Fotografie definitiv zu Ende.

Eine Piste, die vom Horizont kommend auf einen zurast und plötzlich abbricht: So habe ich dieses Bild beim ersten Mal gesehen. Es ist die erste erhaltene „Fotografie“ (das Bild kam zuerst, der Name für das Verfahren später), hergestellt von Nicephore Niepce auf Sardinien. Es ist die einzige erhaltene einer Reihe von Aufnahmen, die Niepce von seinem Arbeitszimmer aus gemacht hat. Bei einer Belichtungszeit von einem halben oder ganzen Tag ist es nicht weiter verwunderlich, daß die Türme rechts und links jeweils seitlich erhellt sind. Die Schräge im Zentrum des Bildes ist übrigens das Dach einer Scheune.

Wäre es nach Niepce gegangen, hätte sein „Original“ (es liegt in der Gernsheim-Sammlung der Texas University) die Druckvorlage abgeben können für das Bild, wie es hier in der Zeitung erscheint: Ein „Bild von der Natur“ erschien ihm nicht der Rede wert, und so experimentierte der zunächst noch vermögende Erfinder, statt mit Papier oder Glas, mit Metallplatte und lichtempfindlichem Asphalt; die Platte sollte dann das sein, was in der Lithographie (die damals gewaltig in Mode gekommen war) der Stein ist. Daß das Produkt dieser Versuche dem Betrachter nun als fertiges Bild, als Positiv erscheint - der Himmel hell, die Schatten dunkel -, ist also eigentlich ein Fehler. Denn der Druckvorgang hätte die Werte umgekehrt.

Mehr als durch die Tatsache, daß es ein Bild „von der Natur“ ohne die Hilfe der Künstlerhand ist, begründet dieses Bild die Tradition der Fotografie, weil es fast unausweichlich zum Exempel (s)einer Technik geworden ist. Daß Fotografien immer ihre Technik veranschaulichen - an einem wohl beliebigen Bruchstück der Welt - hat die Gemüter seit den Anfängen im ersten Viertel des letzten Jahrhunderts verwirrt. Der Fotograf ist immer halb Zauberer, halb Scharlatan. Er macht keine ganze Figur und ist deshalb namenlos, verglichen mit der Legion unvergessener schreibender und bildender Künstler. Der Ausblick oder der Durchblick sind selbstverständliche, traditionelle Sujets und Mittel der Malerei. Aber die Fotografie hat an diesen Sujets ihre Magie entwickelt. Der Fotoapparat ist schließlich selbst eine geschrumpfte Kammer, die Miniatur der Camera obscura, in der einst ein Mensch Platz gehabt hatte. So ist jede Fotografie zunächst ein Blick von drinnen nach draußen, draußen die Referenz, drinnen das Produkt. Dieses Architektonische in ihrer Herkunft hat die Fotografie - unter der Vorherrschaft des vielgerühmten „Augenblicks“ später tendenziell geleugnet. Bei Niepce ist es noch ganz klar: Der Turm hat die Aufgabe, den Bildrand zu stützen, und der Horizont ist die Verlängerung oder der Auszug des Bodens, auf dem der Schauende selbst (vermeintlich) steht. Aber in das Tektonische mischt sich schon ein Hauch von Geschwindigkeit: die Dynamik der Diagonale, die dromotische Störung der klassischen Symmetrie. Schon auf dem Niepceschen Asphalt (die hellen Partien sind der Asphalt) beginnt auch die Geschichte des rastlosen Blicks.

Ulf Erdmann Ziegler

Joseph Nicephore Niepce (1965-1833), aus: 'camera‘, Nr.12/1972.

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