: CSSR droht mit dem Auszug aus dem RGW
■ Der tschechische Finanzminister Klaus dementiert zwar, den „Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe“ auflösen zu wollen, bleibt aber bei seiner Forderung nach weitreichenden Reformen / Ökonomische Abkoppelung von der UdSSR / Nächste Woche Treffen der RGW-Staaten
Berlin (ap/afp/taz) - Kaum hatte die polnische Regierungszeitung 'Rzeczpopolita‘ am Donnerstag ihr Interview veröffentlicht, machte der tschechoslowakische Finanzminister Vaclav Klaus einen Teilrückzieher. Das Blatt habe ihn nicht korrekt wiedergegeben, beeilte sich Klaus zu versichern; die Auflösung des Rates für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (RGW) habe er nicht gefordert. Eine Existenzgrundlage habe der RGW aber dennoch nicht mehr. Und wenn, so Klaus, beim Treffen in Sofia „alle unsere Vorschläge angenommen werden, wird er nicht mehr dieselbe Organisation sein“.
Damit geht der RGW (oder Comecon, nach der verbreiteten englischen Bezeichnung „Council for Mutual Economic Assistance“) nächste Woche in der bulgarischen Hauptstadt in eine entscheidende Sitzung. Denn nicht zurückgezogen hat Klaus die Ankündigung, die CSSR werde den Rat verlassen, wenn die Anträge seiner Regierung auf Aufhebung aller Währungsvereinbarungen nicht auf Zustimmung stoße. Die polnische Regierung hatte noch am Donnerstag bekanntgegeben, daß sie eine Reform unterstütze, aber gegen eine Auflösung sei. „Die Haltung Polens zum RGW ist nicht so radikal wie die der Tschechoslowakei“, sagte Regierungssprecher Wozniakowski. Besonders zwischen Ungarn und der Sowjetunion gibt es zunehmende Spannungen, weil das Abrechnungssystem des RGW die kleinen Staaten benachteiligt. Aber die ungarischen Reformvorschläge hatten schon Unterstützung in Prag gefunden, als dort noch die alte Regierung amtierte.
Zehn Mitgliedsländer hat der RGW, der im letzten Januar seine 40-Jahr-Feier veranstaltete. Beigetreten sind ihm 1949 die UdSSR, Bulgarien, Ungarn, Polen, Rumänien und die CSSR, 1950 folgte die DDR, später dann die Mongolei, Kuba und Vietnam. Bis vor wenigen Monaten war die Frage, wie der Handel zwischen den Ländern verrechnet wird, der größte Streitpunkt im RGW. Mit den jüngsten Veränderungen kommt die Frage hinzu, wie die osteuropäischen Länder ihre Exporte in den Westen vergrößern können, wenn nach den verbindlichen Verträgen des RGW der Löwenanteil der Ausfuhren weiterhin in die Sowjetunion geht.
Der Handel zwischen zwei Mitgliedsländern wird aufgrund zweiseitiger Warenaustauschabkommen abgewickelt, die für fünf Jahre abgeschlossen und jährlich aktualisiert werden. Grundsätzlich sollen Importe und Exporte den gleichen Wert haben, die Handelsbilanz also immer ausgeglichen sein. Doch während der Wert der Industriegüter, die aus den kleineren RGW-Ländern in die Sowjetunion exportiert werden, ständig steigt, sinkt der Wert dessen, was aus der Sowjetunion kommt - überwiegend Rohstoffe, Erdöl und Erdgas. Zur Erhöhung ihrer Exporte ist die UdSSR aber weder bereit noch in der Lage, und ebensowenig wollte sie bislang eine entsprechende Reduzierung der Importe aus den kleineren Ländern zulassen.
Der Handelsüberschuß wird zwar in der Verrechnungseinheit „Transferrubel“ notiert, doch anzufangen ist damit nichts, denn der Überschuß steht nur auf dem Papier. Hat etwa die DDR ein Guthaben in Transferrubeln gegenüber der UdSSR, kann sie damit nicht einmal in Polen oder Ungarn einkaufen gehen. Ergebnis: ein fast kostenloser Kredit der anderen RGW-Länder an die Sowjetunion.
Die Forderung der tschechoslowakischen Regierung, alle Währungsvereinbarungen aufzuheben, bedeutet nun, den Handel zwischen den Ländern in den jeweiligen Landeswährungen abzuwickeln. Dies setzt allerdings voraus, daß „echte“ Preise gemacht werden können, das heißt flexible Wechselkurse möglich werden. Zwar hat Gorbatschow eine Reform des RGW wiederholt befürwortet - ans Zahlen wird die UdSSR dennoch kommen. Denn die hochinflationären Länder Polen und Ungarn können nun daran gehen, ihre Preiserhöhungen auf dem Inlandsmarkt auch an den großen Bruder im Osten weiterzugeben, und damit auch ihre Handelsbilanz verbessern. Und für den Fall, daß sich der RGW als weniger reformbereit erweist als nötig, wird in polnischen Zeitungen schon eine andere Option gehandelt: Eine Konföderation Polens mit der CSSR, politisch als Antwort auf die Vertragsbestrebungen zwischen der BRD und der DDR, und wirtschaftlich zur Intensivierung des Handels zwischen den beiden Ländern.
Einstweilen bemüht sich die tschechische Regierung auf eigene Faust um realistische Wechselkurse gegenüber dem Ausland. Die tschechische Krone wird gegenüber dem Dollar und den anderen Westwährungen zum 8. Januar um 18,6 Prozent abgewertet. Gegenüber den östlichen Währungen wird sie zwei Prozent teurer.
diba
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen