Schwellkörperprosa

■ „eros & psyche“ - ein neues Heft über „Selbstentfaltung, Sexualität und Psychohygiene“ aus Bremen

Was steckt dahinter, wenn jemand per Kleinanzeige in der Tageszeitung erotische (Schubladen-)Texte sucht? Es kann sich dabei um den Herausgeber von eros & psyche, Till Sitter, handeln, der Stoff für sein nächstes Quartalsheft akquiriert.

Ambitiöses Schreiben über „Selbstentfaltung, Sexualität und Psychohygiene“, feuchtlippige Lyrik, Schwellkörperprosa und Räsonnements über AIDS und EMMA: Wer sich da fürchtet, fürchtet sich zurecht. Denn der Platz zwischen wissenschaftlicher High-Abstraction und Wichsvorlage ist nicht groß genug fürs Tummeln von Amateuren. Absturzgefahr an allen Rändern! Programmatisch verspricht Sitter („Ex -Chauvi auf dem Wege zu sich selbst, schreibt an einem Roman ... von Liebe, Erotik und Persönlichkeitsentfaltung“, S. über S.) verspricht seinen LeserInnen keine „platte Pornographie“ (hügelige?), sondern „Erotik“ in literarischen und journalistischen Texten wider die „Nekrophilie“. Sexzeitschrift-vermeidendes Korrektiv ist „psyche“,

die ja nun immer bei der seelischen Gesundheit dazugehört.

Gelungenes Beispiel für dieses Konzept ist in Heft 1 der Text „Begegnung“ von Werner Görischk („Berlin. Stories und Gedichte in zwei Büchern ... Lesungen. Ist ganz froh darüber, daß es

in seinen Texten nicht so schwer ist, herauszukriegen, was er damit sagen will.“ G. über G.). Ein Dauerläufer beim Morgenjoggen hat eine Begegnung der pulstreibenden Art: „Du bist müde, ich mache dir ein warmes Bad,“ sagt eine Unbekannte vor der einsa

men Kate, dann „sieht er ihre großen, leicht hängenden Brüste, die etwas wippen“, dann „sieht er sich wachsen“, dann wird „wohlig aufgestöhnt“. Und dann weiß er nicht, daß sie Pfarrersfrau, westfälisch, 40, drei Kinder, Bibelstunde, aufopfernd, und sie weiß nicht, daß er 34, Studienrat, zwei Kleinkinder, politische Ansprüche abgestreift u.s.f. Das ist jetzt die psyche zum eros.

Die Versuche, das Sprechen über Sex zu kultivieren, korrespondieren mit der Höhe der Sex-Kultur. Das scheinbar unverfänglichste Genre ist die Lyrik; in stotternden Versuchen abgelutschten Spätexpressionismus‘ erkühnt sich manches Schubladentalent zu starkem Spruch, der in die Hose geht. Da müssen „Brustwarzen schreien nach dir“ und irgendwo läuft „süß-bitter warme Feuchtigkeit aus“, wie Judith Karl singt (Bremerin, „zur Zeit noch Sozialpädagogikstudentin“). Rosemarie Posern (kaufmännische Angestellte, geb.1952, „viele Gedichte, einiges an Kurzprosa, manches schon in Zeitungsbeilagen und Kalendern“) mahnt: „hast du mich gekauft / bin ich dein Besitz? / je fester du mich hältst / je schneller gehe ich“. Ganz auf der Höhe des gebremsten Holper-Pornos bewegt sich auch der „Brief-Kontakt“ Heidrun Schallers, Jg.'43 aus Rotenburg an der Wümme. Hier agieren die Worte eines Briefes, die „meine dir entgegenkommenden Brustwarzen“ umkreisen und sich „leckend um den Schlüssel zur Pforte bemühen“. Angesichts solch aufgeladenen Kitsches muß sich der Herausgeber fragen lassen, ob er nicht wenigstens einige seiner LyrikerInnen vor sich selbst hätte schützen sollen, und sei es durch Pseudonymisierung.

Doch Till Sitter hat sein eigenes Projekt, und das ist nicht literarisch. Sitter erscheint mir wie ein Junge, der furchtbar gern in Mamas Handtasche wühlt und sich am allerliebsten in ihrem Kleiderschrank versteckt. Sein sexualpädagogisches Traktat „Ist

ejakulieren männlich?“ (Männergruppe, Neuentreff) verrät gleich zu Beginn den intimen Kenner der Frauen: „Auch Frauen reden heute miteinander über Sex, im intimen Kreis ihrer Freundinnen“. Und da scheint Sitter unter Ausschlußgefühlen zu leiden, wo er doch so viel über die Damen weiß: daß es, wenn sie über Sex reden, um den „leidigen Orgasmus“ geht; daß Alice Schwarzer „bekanntlich Lesbe“ ist, aber nicht sexuell, sondern politisch orientiert; daß Frauen (Schande über EMMA!) sich für Pornographie interessieren, nur durch ihr Über-Ich blockiert sind („Immer noch zeigen sich Ehefrauen angeödet, wenn ihr Gatte eine Videokassette aus dem Pornoladen eingelegt hat“).

Einen eigenen Privatkrieg führt Sitter gegen's Kondom, das brachte ihm einigen Ärger („Kann ich aushalten, denn zumeist vernehme ich ein Aufatmen nach all dem einseitigen safer-sex Gesabbel“): muß doch „der natürliche Ablauf unterbrochen“ werden und, „wer weiß, gar mancher Koitus bleibt unausgeführt“. Die „Kondom-Verordnung“ trennt, das ist der Hammer, „die Sekrete der Sexualpartner“ und zementiert die „Liebesunfähigkeit“ der Menschen. „Wer Intimität wünscht, wünscht und benötigt auch die Vermischung der Sekrete, ohne die sexuelle Liebe ... eigentlich entbehrlich wird“. Sitters Rezept: Untersuchen, ob „psychosoziale Faktoren die Aufnahme des Virus erleichtern / erschweren“. Ist die Psyche gesund, kann AIDS nix werden und ist Gummi verzichtbar!

Bis auf wenige Ausnahmen grauenhafte Texte, völlig unausgegorene sexualpolitische Vorstöße, peinliche Entgleisungen: Ehe es ein Periodikum wird, gehört eros und psyche eingestellt. Solange sollten sich v.a. die beteiligten Frauen überlegen, ob sie sich für diesen Sturm in Mamas Schrank weiter einbinden lassen. Burkhard Straßman

eros & psyche, Hg. T.Sitter, ars armandi Verlag Bremen, Heft 1-2