: Traum-Themen des Jahres
■ DDR-JournalistInnen zu Gast in der taz / Eine Auswahl von Antworten auf die Frage: "Was wird Ihr journalistisches Thema des Jahres sein?"
Am Samstag hatte die taz schreibende und redigierende KollegInnen aus dem Ost-Teil der Stadt zu einem Informationsaustausch eingeladen. Wir nutzten die Gelegenheit, die JournalistInnen zu befragen, was für sie das journalistische Thema des Jahres sei, welches Thema sie unbedingt in ihrer Zeitung sehen wollten. Wir veröffentlichen eine Auswahl von Antworten.
Heidi Diehl, stellvertretende Abteilungsleiterin der Berlin -Redaktion des 'Neuen Deutschland‘ (Zentralorgan der SED)
Das Thema, das mich bewegt, ist eigentlich ein ziemlich unerfreuliches: Ich bin in der Lokalredaktion zuständig für die Berichterstattung über die Ereignisse, die am 7. und 8. Oktober in Berlin leider Gottes stattgefunden haben. Das ist eine Sache, die nicht nur emotional sehr bewegend ist. Die Aufarbeitung dieser Sachen, die ja doch in den Medien noch ziemlich neu ist, die ins Blatt zu bringen ist auch wichtig für die Entstehung eines neuen Geschichtsbewußtseins. Das ist eine Sache, die ich hoffe bald zum Abschluß bringen zu können. Das liegt nicht an mir, das hängt davon ab, wie lange die Untersuchungkommission sich noch zusammenfindet. Wir wollen natürlich, daß die Bürger wieder Vertrauen in die Polizei bekommen.
Sabine Schulz, Lokalredaktion 'Neues Deutschland‘
Ich will jetzt nicht über aktuelle Dinge sprechen, da lasse ich mich überraschen, was kommt. Ich habe ein Projekt, das ich unheimlich gern machen würde. Ich weiß noch nicht, ob das in der Struktur geht, die wir jetzt im Moment noch haben. Ich denke an die Fragen der Lebensweise und Alterskultur, die ganz anders in diese Zeitung müßten. Im Moment kommen sie überhaupt noch nicht in die Zeitung, so wie ich mir das denke. Einfach fragen, was machen die Leute in ihrer Freizeit, denn das ist auch ein hochpolitisches Thema. Gerade Freizeitkultur ist ein Gebiet, das bei uns überhaupt noch nicht angedacht ist. All diese Probleme, mit denen wir im Moment zu kämpfen haben, gerade was die Jugend betrifft, was Tendenzen des Neofaschismus betrifft, die haben dort ihre Wurzeln. Ich habe schon mit einigen Bürgerinitiativen Kontakt aufgenommen, ich spüre dort und bei diesen Leuten eine unheimliche Kraft, die in ihnen steckt, die jetzt auch ganz anders rauskommt, als es früher möglich war. Das möchte ich gerne darstellen, denn es ist das, was mich im Moment auch ein bißchen hoffnungsfroh macht. Ein konkretes Thema, an dem ich auch schon dran bin, ist hier das Scheunenviertel.
Katharina Grell, Lokalredaktion 'Der Morgen‘ (LDPD-nahe Tageszeitung)
Ich möchte gerne zeigen, daß das Leben auch bei uns in der Hauptstadt der DDR nach wie vor lebenswert ist. Wir, die Leute, die hiergeblieben sind, haben große Probleme durch die Ausreisewelle, daß Geschäfte eher geschlossen sind, daß man abends Probleme hat einzukaufen. Ich möchte zeigen, daß es auch bei uns vorwärts geht, daß die Leute auch bei uns ihre Zukunft haben, trotz aller Probleme. D.h ich möchte vor allem Handel und Versorgung betrachten, was dort geschieht, damit die Probleme gelöst werden. Ein Beispiel ist rewatex, die gesagt haben, sie könnten die Versorgung der Bevölkerung nicht sicherstellen. Ich habe einen Gegenbeitrag in der Zeitung geschrieben, daß es nicht geht, daß man einfach sagt, ich kann nicht. Man muß die Leute dazu zwingen, sich Gedanken zu machen und etwas zu tun.
Elke Kübler, Lokalredaktion 'Der Morgen‘
Ich würde stärker Kritik und stärker eigene Meinung einbringen. Was mich zur Zeit am stärksten bewegt, ist die Frage der Wiedervereinigung, weil sie unsere eigene Existenz angeht. Ich würde das journalistisch verwirklichen über Meinungsumfragen, was bis vor kurzer Zeit bei uns unmöglich war. Ich war z.B. kurz vor Weihnachten am Grenzübergang Invalidenstraße, da hat jetzt ein Anruf genügt, früher war es ein endloses Genehmigungsverfahren.
Leonore Dietrich, Stellvertretende Chefredakteurin 'Junge Welt‘ (FDJ-Tageszeitung)
Es gibt ein Grundthema, das mich unheimlich bewegt, das ist die Frage, wie wir den jungen Leuten wieder eine Perspektive geben könnten. Deshalb wäre ich sehr froh, wenn ich einmal an einer Berliner Schule sein könnte und sich bei einer Umfrage nicht ein einziger zu irgendeiner Neofaschismus -Tendenz hingezogen fühlen würde. Eine andere wichtige Frage ist für mich: Ich hasse diese Tümelei. Man sollte das kommentieren und zunehmend Interviews mit Leuten führen, die solche Ansichten haben.
Achim Wahrenberg, Stellvertretender Chefredakteur 'Märkische Volksstimme‘ (Potsdam) (SED-Tageszeitung)
Ich möchte den Kommentar schreiben am Tag nach der Bundestagswahl, an dem ich die Niederlage von Kohl kommentieren darf. Innerhalb der DDR gibt es so viele Themen, die anstehen, daß es mir schwerfällt, jetzt eines zu benennen. Ich würde spontan vermutlich auf eine Liste von zwanzig Themen kommen, die alle gleich wichtig sind. Das hat mit neuen Bewegungen, mit neuen Parteien zu tun, auch mit inneren Verklemmungen, die man erst mal überwinden muß.
Hans-Ulrich Conrad, Chefredakteur 'Märkische Volksstimme‘
Also, ich würde am liebsten einen Beitrag schreiben, der gar nicht in meine eigene Zeitung gehört. Ich möchte einen Essay schreiben über den Imperialismus der instrumentellen Vernunft, der auch für die soziale und ökonomische Situation in unserem Lande sehr viele Aspekte hätte. Für unsere Zeitung würde ich dann daraus Überlegungen zur Wirtschafts und Sozialpolitik herleiten. Konkret werde ich jetzt erst mal einen Beitrag über Rudolf Bahro machen. Ich weiß, daß er ein großer Exzentriker ist und inzwischen auch bei Ihnen verschrien ist - bei uns hat er sich auf dem Parteitag der SED-PDS ja auch in ein bestimmtes Licht gesetzt -, aber ich finde die Ideen, die er hat, sehr interessant.
Ute Schmidt, Lokalchefin der 'Neuen Zeit‘ (CDU -Tageszeitung)
Zu allererst wird uns der Wahlkampf in Atem halten, und zwar in Größenordnungen, von denen wir jetzt überhaupt noch keine Vorstellung haben. Lokal würde ich gerne die Verkehrsbeziehungen mehr betrachten, also, wie man in kürzester Zeit wieder Verbindungen nach West-Berlin herstellen kann. Ein geheimer Wunsch von mir ist, Anfänge von Prostitution bei uns zu untersuchen. Ich könnte mir vorstellen, daß durch die Öffnung der Grenze sowohl sehr viele Frauen nach West-Berlin gehen als sich auch bei uns eine Szene etablieren wird, was uns gar nicht so lieb sein wird.
Ralf Schüler, Redaktioneller Mitarbeiter 'Neue Zeit‘
Was ich vor ein paar Jahren schon einmal angegangen habe, was damals aber überhaupt nicht ging - groteskerweise wegen Geheimhaltung -, ist die Kanalisation von Berlin. Die Katakomben unter Berlin, die Abwasserkanäle, die sich nie an die Mauern gehalten haben und teilweise noch aus dem letzten Jahrhundert stammen sollen und wo Verbindungen unter der ganzen Stadt existieren. Ein anderes Thema nur für West -Berlin wäre für mich auch Prostitution, weil ich es überhaupt nicht verstehen kann, wie sich Frauen auf dem Kudamm anbieten können. Ich würde gerne mit einer Frau reden, die in einem Porno-Shop ihre Arbeit tut, sie den ganzen Tag beobachten.
Peter Wolf Jastrow, Ressortleiter für Kunst und Literatur des 'Sonntag‘ (Wochenzeitschrift des Kulturbundes der DDR)
Ich kann nicht in diesen Chor einstimmen, daß man jetzt ganz neue Dinge machen kann. Ich glaube, man konnte auch vorher schon sehr viel machen, aber das war eher eine Frage des journalistischen Standpunkts. Mich interessiert nicht so sehr ein Einzelthema, sondern ein Problem: Alle sind jetzt so euphorisch und sprechen von der Oktoberrevolution, was für mich erst mal nur ein Zusammenbruch war - ein Zusammenbruch, für den wir auch gearbeitet haben. Nach der Euphorie der ersten Wochen kommen jetzt wieder sehr stark restaurative Tendenzen hoch. Ich sehe jetzt die fatale Situation, daß wir jetzt eine Revolution zum Kapitalismus hin machen. Ich hoffe immer noch auf eine Alternative und möchte deswegen das machen, was wir eigentlich früher schon immer machen sollten, nämlich das herausfinden, was positiv war.Interviews: Kordula Doerfler/Claus Christian Malzahn
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