: ZU SCHÖN BLÖD
■ „Harry Stark“ - das Metzgermusical vom College of Hearts
Es war nicht einfach, den so richtig freundlichen Theatersaal der Ufa so umzuwandeln, daß darin ein so richtig blutrünstiges Wurstmusical stattfinden kann. Aber weil der tägliche Tabubruch mittels Blut, Schlachten, Scheißen auf der Bühne sowieso zum Lebensinhalt der hiesigen Artaudexekutanten der Offszene gehört, kann die streng naturalistische Variante getrost übersprungen werden. Da können die Metzgersleut noch so wild mit den Messern wetzen, die Metzgersfrau noch so finster die Zuschauergrüppchen über die Bühne sitzplatzverweisen, zwischen blutigen Schlachtwannen hindurch, es hilft alles nichts - das Metzgermusical ist ein freundliches Singspiel für die Kreuzberger Mischung der üblichen Bezirke. Es versetzt in tiefste bayerische Provinz, wo man ausschließlich Fleisch frißt, wo ein knackfrisches Leberkäsbrötchen potenzsteigernd wirkt, wo das Säuschlachten zum wöchentlichen Sieg über die schwache Natur ritualisiert wird. All das hat der durchschnittliche Wahlberliner einst geflohen und in unregelmäßig wiederkehrende Alpträume verdrängt - sieht er es jetzt auf der Bühne wieder, mit touristischen West-(und Ost-?)Augen? lacht er sich über bayerische Ostfriesen tot. Und die freundlichen Metzgersleut lassen ihn bei seinem Glauben und teilen keine in Wahrheit doch masochistisch ersehnten Betäubungsschläge aus.
Die Musik kommt - mit Tuba, Mischmaschinenrap und mit allen, die wir immer wieder gerne sehen. Da sind der phänomenal potente Metzgermeister Rudi Stark alias Christoph Swoboda, breitschultrig und glatzig wie nie; der Frau und Tier gleichermaßen fleischbeschauende Fachmann Burkard Wehner, zugleich genialgemeiner Polizist, der mit lässigen weichen Knien und süßlichen Witzen in die Abgründe blöder Lustigkeit hinabführt, oder auch Karina Koppenhöfer, einst niedliche Eintagsfliege im Bienenmusical, jetzt die Sexy Hexy mit den drei Brüsten, Traum aller Bauarbeiter, geballte Einfallslosigkeit männlicher Sexphantasien. Und auch die andern neu hinzugekommenen Protagonisten, College-Stars von morgen, sind schauspielerisch, musikalisch und komisch auf der Höhe der Zeit. Eben. Obwohl die Geschichte kruder kaum geht.
Metzgermeister Rudi Stark hat seit 18 Jahren sein Gesellenstück, eine „Bluterwurst“, über den Wursthaken hängen als Beweis immerwährender Metzgerskraft. Sohn Harry, ein infantiler und verwöhnter Lederhosenbub, begeht den Sündenfall („Alle Würste kannst du essen, nur diese eine nicht“) verbotener Wünsche und soll zur Strafe seine erste Sau schlachten. Da begehrt er auf gegen sinnloses Töten, zieht als tapferer Pazifist in die Welt hinaus, um Millionär in Nujork zu werden. Während der wütende Vater mit dem schnellen Audi 100 hinterherrast („Der kommt nur bis zum Hallenbad!“) muß Harry eine Versuchung nach der andern bestehen. Im Hallenbad lockt ein Jüngling mit perlenden Wassertropfen auf nackter Haut, an der Weggabelung die Bäckersfrau, die ihre rösche Tochter zum Beschlafen anbietet, im LKW die Männerphantasie der dreibrüstigen Femme fatale. Die Mutter emanzipiert sich derweil zur Selfmade -Schlachterin und feurigen Liebhaberin des Fleischbeschauers, der Vater entlarvt sich mit kraftlosen Telefonanrufen von diversen Autobahnraststätten als emotionaler Krüppel, der er immer schon war. Und der Sohn, aufgeblasen wie eine Deix-Figur, weil ihn die Bauarbeiter mit Zement abgefüllt haben - wie Bauarbeiter halt nun mal so sind, böse und humorvoll -, wird knapp gehenkt vorm Happy end. Vorher wird noch der Bluterwurst-Männlichkeitsmythos endgültig ausgehöhlt und die falsche Sexphantasie mit der vom Fleischbeschauer mehrfach trichinenfrei bescheinigten Mutter vertauscht - es gibt kein richtiges Lieben im Falschen.
Natürlich ist das hart am Leben vorbei aus eben diesem gegriffen. Wenn die Wurscht im Scheißhaus wie im Mund wie in der Hand als heimliche analerotische Sexualfixierung der Deutschen vorgeführt wird, muß das trivial sein. Nur fehlt's dabei manchmal am nötigen Ernst beim Albern, am Sinn für's Wesentliche im Banalen, an sonst bewährter Selbstironie in der vorsätzlich überzogenen Groteske. Wie in jener Szene, in der die Bäckersfrau sich, Tochter und Brötchen preist: frei nach Brecht senkt sich ein Schild herab: „Bäckersfrauen haben manchmal einen ganz schön blöden Humor“.
DoRoh
„Harry Stark“ bis 28.1., tgl. außer Mo und Di in der Ufa -Fabrik.
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