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Rumäniens Gemeinschaft des guten Willens

Die neue Macht in Bukarest ist Konkursverwalter und Wegbereiter - sie hat einen sichtbaren und einen unsichtbaren Teil  ■  Von Richard Wagner

Das Desaster, das der Diktator hinterlassen hat, kann größer nicht sein. Rumänien unterscheidet sich nicht erst durch seine blutige Revolution von allen anderen osteuropäischen Ländern. Als das Land soeben aus dem Schatten der Diktatur heraustrat, gab es keinerlei politische Strukturen der Opposition. Aber es gab auch keine Machtstrukturen mehr. Das Desaster der Herrschenden war nicht geringer als das der Beherrschten. Einerseits hatte der Machtapparat jede oppositionelle Regung entweder brutal oder raffiniert unterdrückt, andererseits hatte er sich völlig der kriminellen Ceausescu-Bande untergeordnet. Deshalb konnte auch der Machtapparat das Regime nicht überleben.

In dieser politisch ausweglosen Lage haben sich trotzdem zwei Institutionen gefunden, die das Überleben des Staatsgebildes möglich machten. Die eine, die Armee, ist die einzige Institution des Landes, die sich retten konnte, indem sie beizeiten auf die Volksstimmung umschwenkte. Wie dieses Umschwenken verlaufen ist, muß noch genauer geklärt werden. Der Verteidigungsminister Milea ist Freitag, den 22. Dezember, vermutlich von Ceausescu-Leuten ermordet worden, weil er den Schießbefehl nicht mittragen wollte. Bezeichnend ist auch, daß seit dem Diktatorensturz ein vielfältiger Personalwechsel durch Beförderungen und Reaktivierungen von pensionierten Offizieren stattgefunden hat. Fazit: Auch die Armee mußte erst umgebaut werden, um den Geruch des Diktators loszuwerden.

Die zweite Institution ist die „Front der Nationalen Rettung“, die sich bereits vor dem Ceausescu-Sturz anonym aus dem Untergrund gemeldet hatte, und die offenbar seit längerem auf den Sturz des Diktators hinarbeitete. In ihr hatte sich der Parteirest versammelt - das, was von dieser Partei noch übrig war nach der großen Korrumpierung durch die Diktatur, sowie Intellektuelle, die der Partei lose verbunden waren.

Die „Front der Nationalen Rettung“ füllt gegenwärtig den politischen Handlungsraum des Landes aus. Sie ist keine Partei, sondern eine Interessengemeinschaft des guten Willens. Sie hat sich auf den Trümmern der Ceausescu -Institutionen installiert und sich die Machtbefugnisse zugesprochen. Legitimiert ist sie durch das, was sie macht. Sie ist Konkursverwalter und Wegbereiter. Sie hat eine handlungsfähige Regierung eingesetzt, die sich selbst als Übergangsregierung bezeichnet, und sie übt die Kontrolle über diese Regierung aus. Sie hat damit angefangen, das Ceausescu-Gesetzeswerk zu annullieren und durch Verfügungen den Weg für die Demokratie freizumachen. Freie Wahlen wurden für April angekündigt, und ein Parteiengesetz wurde bereits verabschiedet.

Die Macht in Rumänien hat im Augenblick einen sichtbaren und einen unsichtbaren Teil. Der sichtbare Teil der Macht besteht aus vorzeigbaren Persönlichkeiten wie Ion Iliescu, dem Präsidenten der Front, der aus dem Parteiapparat der sechziger Jahre kommt - der pragmatischen Zeit der rumänischen KP, als diese ihren von Moskau unabhängigen Kurs entwickelte und ihn mit einem sehr maßvollen Wirtschaftsprogramm verband. Einer der Wirtschaftsfachleute jener Jahre, Alexandru Birladeanu, ist ebenfalls Mitglied der Front. Keiner dieser Leute tritt im Namen der KP auf.

Wie sich die Macht wirklich verteilt, ist im Augenblick unklar. Welches Gewicht ihr bewaffneter Teil hat, die Armee, und eventuell die übergelaufenen Securitate-Truppen, ist jetzt nicht abzuschätzen. Die Armeespitze ist von ihren politischen Überlegungen her schwer festzulegen. Sie kann nationalkommunistisch sein oder bloß nationalistisch; die Frage bleibt, wie weit ihre politischen Ambitionen gehen. Faktum ist, daß die Armee durch ihren entscheidenden Beitrag zum Revolutionsablauf einen sehr guten Ruf bekommen hat. Dieser Ruf ist womöglich verführerisch. Auf jeden Fall wird man mit der Armee als Machtfaktor rechnen müssen. Interessant ist, daß die rumänische Armee in der neueren Geschichte des Landes nur einmal eine entscheidende innenpolitische Rolle gespielt hat. In den Januartagen 1941, als die „Eiserne Garde“, die rumänischen Faschisten, einen Putsch ausführten, wurde dieser von General Antonescu mit der Armee niedergeschlagen. Antonescu wurde zum Diktator Rumäniens an der Spitze einer Regierung aus Militärs und Fachleuten. Diese Regierung blieb während der Kriegszeit als Partner der Achsenmächte im Amt. Die Ereignisse jener Januartage waren in ihrer Brutalität den jetzigen Auseinandersetzungen durchaus ähnlich, manche der Greueltaten der Securitate lassen sich mit denen der „Eisernen Garde“ vergleichen.

Rumänien hatte seit dem Ende des Ersten Weltkriegs und bis in die späten dreißiger Jahre eine kurzlebige Demokratie mit vielen krisenhaften Entwicklungen und Auseinandersetzungen. Interessengruppen prägten die politisch nur undeutlich voneinander abgegrenzten Parteien. Korruption, Manipulation, Koalitionsakrobatie, rasch wechselnde Regierungen prägten die politische Szene. Rumänien war seinerzeit eine konstitutionelle Monarchie und seit den frühen dreißiger Jahren nutzte der Königspalast durch immer deutlichere politische Einmischung die Situation jeweils für die eigenen Interessen aus. Das Ende der rumänischen Demokratie um die Jahreswende 1938 wurde von König Carol II. herbeigeführt, der die konstitutionelle Monarchie in einen Ständestaat unter seiner Leitung umwandeln wollte. Die Konvulsionen der Enddreißiger wurden von da ab durch die Armee beendet, die, wie jetzt wieder, als Ordnungsfaktor auftrat, König Carol aus dem Land jagte und seinen Sohn Mihai auf den Thron setzte. Mihai sollte nach dem Willen des Generals und selbsternannten Marschalls und Conducators Antonescu nicht viel zu sagen haben. Er war Staatsoberhaupt während der Antonescu-Diktatur, die 1944 beim Näherrücken der Roten Armee mit entscheidender Hilfe seiner Palastgarde gestürzt wurde. Auch in dieser Situation stellte sich die Armee auf die Seite der Putschisten. Der 23. August 1944 war der Frontwechsel Rumäniens im Zweiten Weltkrieg, er markiert aber auch den ersten Schritt zur Machtübernahme durch die Kommunisten, die den König Mihai formal noch bis zum Dezember 1947 im Amt ließen. Rumänien war in jenen Jahren eine Art kommunistische Monarchie.

In diesen Tagen meldet sich Exkönig Mihai aus dem Schweizer Exil zu Wort und bietet seine Rückkehr an. Warum sollte er nicht König eines demokratischen Rumänien sein können?

Warum sollte er? Ich sehe keinen Bedarf. Eine Demokratie in einem solchen Land, mit so ungefestigten Traditionen und nach einem solchen politischen und kulturellen Kahlschlag, sollte sich nicht auf rein formale, letztendlich hohle Institutionen gründen müssen. Es muß ein demokratisches Leben entstehen, nicht ein fauler Konsens gesucht werden. Nur eine Demokratie, die auf der Anstrengung aller beruht, ist dauerhaft.

Als die rumänische KP 1944 aus dem Untergrund trat - sie war zwanzig Jahre lang verboten gewesen und verfolgt - hatte sie keine tausend Mitglieder, innerhalb kürzester Zeit wurde sie aber zur Regierungs- und Massenpartei. Diese neue Massenpartei konnte keine Identität haben. Sie wurde zum Tummelplatz aller möglichen Opportunisten und Karrieristen. In ihr trafen sich von Anfang an die, die nichts anderes wollten, als mit der Partei zur Macht zu kommen. Ceausescu selber spielte von Anfang an eine wichtige Rolle in der Führungsspitze dieser Partei. Er hat für sich und seine Familie den Machtanspruch sozusagen radikal erreicht, indem er den gesamten Parteiapparat dienstbar gemacht hat. Diese Partei, die noch im November 89, auf ihrem letzten Parteitag, dem Diktator zujubelte, die stets alle seine Verbrechen absegnete, hat in Rumänien keine Legitimation mehr. Sie hat durch ihre Machenschaften den Sozialismusgedanken definitiv diskreditiert. In dieser Situation wird es sehr schwierig, wenn nicht unmöglich sein, linke Positionen neu zu definieren. Das wird erst eine Frage für die Zukunft sein. Jetzt ist es so, daß die KP aufgelöst werden muß.

Das politische Leben Rumäniens ist blutleer. Die Frage der Parteienbildung zeigt zuerst einmal die Hilflosigkeit. Es gibt Rückgriffe auf die politischen Felder der Zwischenkriegszeit, auf die bäuerlichen und christlichen Werte einer immer noch traditionell agrarisch geprägten Gesellschaft, und es gibt Neugründungen, die sich ökologisch und allgemein demokratisch verstehen. Ob es aber mehr als Splittergruppen sein werden? Es ist ja die Stunde der Persönlichkeiten, und wer bekommt nicht die 251 Unterschriften zusammen, um, laut neuem Parteigesetz, die neue Partei anmelden zu können? Die eigentliche Frage ist, wer bekommt mehr als 251 Mitglieder?

Aber vielleicht sind diese Fragen im Augenblick nebensächlich. Wichtig ist, daß im April gewählt wird. Wichtig ist, daß in das neue Parlament Menschen gewählt werden, die das Vertrauen der Bevölkerung haben. Wichtig ist, daß es ein von der Bevölkerung legitimiertes Parlament ist. In diesem Parlament werden sich bald nach der Interessen- und Meinungslage Fraktionen bilden. Sie könnten die Kerne echter Parteien sein. Als Reservoir für eine Partei, eine linksliberale vielleicht, ließe sich die „Front der nationalen Rettung“ nutzen - sie kann aber auch einen Seiteneinstieg für die Kommunisten ermöglichen. Wichtig ist das Verhalten der Minderheiten - insbesondere der ungarischen. Diese hat bereits eine eigene Organisation gegründet, die mit der „Front der Nationalen Rettung“ zusammenarbeiten will. Die Versöhnung zwischen Ungarn und Rumänien ist eine Grundvoraussetzung jeder demokratischen Verfassung des Landes.

Der Autor ist rumäniendeutscher Schriftsteller aus Temesvar und lebt seit 1987 im Westberliner Exil

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