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Leben nach dem Leben

■ „Langsamer Abschied - Tod und Jenseits im Kulturvergleich“ Eine Ausstellung im Frankfurter Museum für Völkerkunde

Für Norbert Elias ist die Sache klar: „Der Tod verbirgt kein Geheimnis. Er öffnet keine Tür. Er ist das Ende eines Menschen.“ Damit mag der Soziologe vielen Zeitgenossen aus der Seele sprechen, an einer Frage jedoch kommt er nicht vorbei: Wenn auf den Tod tatsächlich einfach das Nichts folgt, warum ist dann kein Volk bekannt, das an einen ewigen Tod glaubt? Haben die Menschen Vorstellungen eines Jenseits nur als verzweifelte Sinngebung des Sinnlosen entwickelt, gleichsam als Durchhalteparole? Oder ist es einfach die Angst vor dem Nichts, der horror vacui, der von Anbeginn der Kultur bis in die Gegenwart für den Glauben an ein Leben nach dem Leben sorgt? Wenn sich die Völker mit der Ausstaffierung eines Jenseits ihr Opium selbst erfunden haben, warum sind dann die alten „Landkarten“ dieser metaphysischen Gegend einander so ähnlich?

Haben die Huichol-Indianer von den Hochplateaus der Anden bei den Sadan in der Südsee abgeschrieben, oder die australischen Aborigines bei den Cuna in Panama? Das Schwarze Loch des Jenseits, so zeigt ein Rundgang durch die Ausstellung, ist zwar ausgesprochen individuell möbliert, grundsätzlich aber scheint sich das Design des Nicht-Seins an gewisse Normen zu halten. Nicht nur, was die vielfältigen Begräbnisrituale und Totenkulte, sondern auch was den Weg der Toten selbst betrifft: Für diese öffnet das Sterben nicht einfach irgendeine Tür, es handelt sich eher um das Portal einer Flughafen-Halle - rund um die Welt gehen die Völker davon aus, daß der Geist der Verstorbenen eine Reise anzutreten hat. Wobei es den Zurückgebliebenen obliegt, ihm diesen durchaus beschwerlichen Trip so angenehm wie möglich zu gestalten.

Wie viele andere seefahrende Völker bauen die Dayak auf der Insel Kalimantan (früher Borneo) ihre Särge als Schiff. Doch dieses Fahrzeug allein reicht nicht, um die Reise ins Jenseits zu ermöglichen, dazu bedarf es eines aufwendigen und mehrere Tage dauernden Totenfests, bei dem der Priester/Schamane der Seele des Verstorbenen als Reiseführer dient. Im Trance-Zustand begleitet er sie und berichtet hinterher den Angehörigen, ob die Totenreise erfolgreich verlaufen ist - erst nach dieser Vollzugsmeldung werden die Gebeine des Toten beerdigt. So plötzlich der Tod eintritt, so langsam ist der Abschied - bei den Huichol-Indianern muß der Schamane fünf Tage nach dem Ableben die Totenseele aus der Unterwelt zurückholen, damit die Hinterbliebenen sich von ihr verabschieden und sie mit den notwendigen Utensilien für die Reise in die Oberwelt versorgen können. Die Totenseele, die - glücklich im Tanz mit ihren „Kollegen“ sich weigert aufzutauchen, wird vom Schamanen eingefangen und erscheint den versammelten Verwandten als Insekt - um sodann in die Oberwelt des Jenseits geleitet zu werden.

Auch egalitäre Gesellschaften wie die Huichol gehen davon aus, daß es im Jenseits gute und weniger gute Plätze gibt, so erhält nach ihrer Vorstellung beste Versorgung unter einer Art Paradiesbaum nur, wer auf der Totenreise die Geschlechtsorgane all derer mitschleppt, mit denen er (oder sie) zeitlebens in sexuellem Verkehr standen - irdische Seitensprünge werden, im Unterschied etwa zur christlichen Vorstellung, die mit Fegefeuer droht, im Huichol-Jenseits offenbar honoriert.

Bei den Cuno-Indianern in Panama dagegen, deren Totenreisen einem „Indiana Jones„-artigen Abenteuertrip gleichen, droht den Männerseelen, die es zu Lebzeiten mit verheirateten Frauen getrieben haben, die Zerstückelung durch magische Scheren. Die Jenseitsreise bei den Cuno stellt wie auch bei vielen anderen Völkern eine Analogie zur Geburt dar: die Totenseele begegnet der Urmutter, die sie mit Kleidern, einem neuen Körper ausrüstet, das Leben im Reich der Toten muß erst erlernt werden. Selbst wenn es, wie auf den Darstellungen der Moche aus Peru, durchaus irdisch, nämlich feucht, fröhlich und vor allem erotisch zugeht: die Skelette auf den zwischen dem 3. Und 5. Jahrhundert entstandenen Moche-Zeichnungen variieren die gesamte Palette sexuellen Verkehrs.

Den Vertreter eines neuen, offenbar prosperierenden Berufszweigs stellte kürzlich die 'Frankfurter Rundschau‘ vor: einen ehemaligen Pfarrer, der seine Stelle als Religionsbeamter aufgegeben hat und als Trauerredner jetzt auf eigene Rechnung letzte Worte vom Stapel läßt - cool, aber herzlich, verbindlich tröstend und vor allem: ohne metaphysisches Brimborium. Der Mann hat einen vollen Terminkalender - ein Trend, der bestätigt wird von dem Blick auf Europa und das 20.Jahrhundert, der am Ende der Ausstellung steht: der Tod als technisches Problem und die Sterbesituation als „weißer Fleck auf der sozialen Landkarte“ (Philippe Aries). So, wie es von den Apparaten der Intensivstationen nur ein kleiner Schritt ist zum computergesteuerten Krematorium, so ist es von der Grab -Textverarbeitung der Berufsredner nicht mehr weit zum vollautomatisierten funeralen Disneyland. Es fragt sich, ob die westliche Menschheit des 3.Jahrtausends damit in der Behandlung des Urproblems schlechthin auch nur einen Schritt weitergekommen ist als die Völker im Urwald Südamerikas.

Mathias Bröckers

Langsamer Abschied - Tod und Jenseits im Kulturvergleich. Museum für Völkerkunde, Frankfurt. Bis 15.Januar. Eintritt frei. Katalog, 320 Seiten, 28 DM.

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