: In Bukarest beginnt die juristische Abrechnung
■ Angehörige der Securitate werden vor Sondergerichten abgeurteilt / Kundgebungen der Opposition / Iliescu: Minderheitenrechte sollen geschützt werden / 500 Familien der bulgarischen Hauptstadt obdachlos infolge der Kämpfe / Übergangsregierung sichert Hilfe zu
Bukarest (afp) - In Rumänien hat die juristische Abrechnung mit den Anhängern des gestürzten Diktators Ceausescu begonnen. Der erste sogenannte „Terroristenprozeß“ gegen Securitate-Angehörige vor militärischen Sondergerichten in Rumänien war für den gestrigen Montag in Sibiu angesetzt. Das gab der neue Direktor des rumänischen Fernsehens, der Schriftsteller Aurel Dragos Munteanu, am Montag in Bukarest bekannt. Die Regierung hatte am Sonntag abend Sondergerichte eingesetzt, um über „alle Taten, die den Staat, das menschliche Leben, öffentlichen oder privaten Besitz in Gefahr gebracht haben“, im Schnellverfahren zu urteilen. Auch Delikte wie Unterstützung oder Decken von Securitate -Mitarbeitern sollen vor diese Tribunale gebracht werden. Die Presse soll freien Zugang haben.
Einen Tag nach dem Besuch des sowjetischen Außenministers Eduard Schewardnadse in Rumänien veranstaltete die Christlich-Demokratische Bauernpartei in der Innenstadt einen Schweigemarsch zur Ehrung der Märtyrer des rumänischen Stalinismus. Daran nahmen etwa dreihundert größtenteils junge Menschen teil. Sie führten rumänische Fahnen ohne das kommunistische Emblem, brennende Kerzen und Trauerkränze mit sich. Auf Transparenten war unter anderem zu lesen: „Gott, erhöre uns - bestrafe die Kommunisten!“, „Freie und korrekte Wahlen“ und „Die Märtyrer wollten Freiheit und Brot“.
Am Sonntag morgen nahmen etwa 2.000 Studenten im Polytechnischen Institut in Bukarest an einer Versammlung für Bildungsreform und Organisationsfreiheit teil. Die Studenten forderten, an der bevorstehenden Universitätsreform beteiligt zu werden. Außerdem sprachen sie sich für das uneingeschränkte Recht aus, landesweit Gewerkschaften, Vereinigungen und andere Organisationen gründen zu dürfen. Die Hauptforderung, die für den 26.Januar vorgesehenen Universitätsprüfungen wegen der Dezemberunruhen auf einen späteren Termin zu verschieben, hatte das Erziehungsministerium am Samstag erfüllt. Kritisiert wurden die Studentenvertreter im elfköpfigen Führungsgremium des Rates der Front zur Nationalen Rettung, die als nicht repräsentativ für die Studentenbewegung bezeichnet wurden.
Rumäniens amtierender Staatspräsident Ion Iliescu forderte unterdessen die in die Bundesrepublik ausgesiedelten Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben zur Rückkehr nach Rumänien auf. Die neue Führung in Bukarest werde sich „entschlossen auf den Weg machen“, um gute Bedingungen für die Angehörigen aller gesellschaftlichen Gruppen und Nationalitäten zu schaffen, sagte Iliescu der Tageszeitung 'Die Welt‘. Er hoffe darauf, daß manche nun von dem Wunsch nach Aussiedlung Abstand nähmen und auch einige zurückkehrten, die bereits ausgereist seien. Die Anerkennung, die die rumänische Revolution in der Bundesrepublik gefunden habe, sei Grundlage für die Hoffnung, daß sich die Beziehungen zwischen beiden Seiten positiv entwicklen würden, fügte Iliescu hinzu. Er sei überzeugt, „daß wir eine Plattform guter Beziehungen finden werden“.
Im Zuge der Kämpfe gegen den ehemaligen Diktator sind mindestens fünfhundert Bukarester Familien obdachlos geworden. Dies berichtete der rumänische Rundfunk am Sonntag abend unter Berufung auf eine erste offizielle Schätzung. Wie es in dem Bericht weiter hieß, wurden auch zahlreiche Häuser in anderen Städten zerstört, etwa in Temesvar und Hermannsstadt. Wieviele Familien dort obdachlos wurden, gab der Sender nicht an.
Kommissionen des Rats der Front zur Nationalen Rettung sollen Listen der obdachlosen Familien erstellen. Wie der rumänische Rundfunk weiter berichtete, wurden Maßnahmen ergriffen, um allen Betroffenen Notunterkünfte zur Verfügung zu stellen. Die Regierung wolle den Familien außerdem eine Finanzhilfe in Höhe von 30.000 bis 50.000 Leu (nach offizeillem Kurs 3.500 bis 5.500 Dollar) für den Kauf von Möbeln zukommen lassen.
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