piwik no script img

Schräge Klänge aus der anderen Republik

In der DDR gibt es eine sehr lebendige unabhängige Musikszene jenseits von Puhdys und Pankow - und zwar nicht erst seit Ende letzten Jahres. Plattenaufnahmen und Westreisen und -auftritte waren vor dem 9.November für nicht systemkonforme Bands fast undenkbar, jetzt ist alles möglich. Doch deren Freude über neue Freiheiten ist nicht ohne Melancholie.

Abgeschottet hinter der Mauer, produzierten Bands wie zum Beispiel „Die Firma“, „Herbst in Peking“, „Die Vision“, „Ich -Funktion“, „Feeling B“, „Die Skeptiker“, „Freigang“, „Sandow“ oder „Die Form“ unter ungünstigen Bedingungen Töne und Texte, die nicht in die alte SED-Vorstellung von „Unterhaltungsmusik“ paßten. Gern gesehen, gut bezahlt und zu Westreisen berechtigt waren dagegen solche seichten Rockzombies wie „Karat“, „City“, „Die Puhdys“, „Silly oder Pankow“ - Namen, die auch im Westen bekannt und verantwortlich sind für den überaus schlechten Ruf, den „Rock aus der DDR“ bis heute hat.

Aber jetzt sieht doch alles so gut aus: keine Zensur mehr, keine Auftrittsverbote mehr. Jede Band kann auch im Westen spielen. Die sogenannten „Einstufungskommissionen“, vor denen die Gruppen eine Probe ihres Könnens geben mußten, um eine Spiellizenz für öffentliche Auftritte und einen bestimmten Honorarsatz zu erhalten, werden wohl bald der Vergangenheit angehören. AMIGA, die einzige staatliche Plattenfirma, meldet auf einmal verstärktes Interesse an den noch vor wenigen Monaten mißliebigen oder gar verbotenen Bands an. Nahezu paradiesische Zustände, könnte man meinen.

„Das ist eigentlich der beste Zustand, den ich je in der DDR erlebt habe. Momentan ist ja alles außer Kraft gesetzt. Die Bürokratie bricht zusammen, die Polizei ist macht- und hilflos, und die Partei hat sowieso nichts mehr zu sagen. Die DDR hat 'ne absolute Chance, eben weil jetzt alles so drunter und drüber geht und in Richtung Anarchie rutscht“, freut sich Aljoscha, Sänger und Sprecher der Band „Feeling B“, die mit ihrem teilweise recht dilettantischen Hau-Ruck -Punk in der ersten Reihe der sogenannten „anderen“ Bands steht.

„Feeling B“ hat schon vor dem Umbruch in der DDR mit den offiziellen Stellen - sprich AMIGA und Künstleragentur zusammengearbeitet. Die Band ist auf dem AMIGA-Sampler „Kleeblatt 23 - Die Anderen Bands“ zu hören, hat in dem DEFA -Dokumentarfilm „Flüstern und Schreien“ mitgewirkt und durfte im Sommer letzten Jahres bereits im Westen auftreten. Jetzt gehört „Feeling B“ zu den ersten Gruppen, die ihre gerade aufgenommene LP im Osten und im Westen veröffentlichen - eine Kooperation zwischen AMIGA und westlichen Labels, die man in Zukunft wohl oft finden wird.

Auch „Die Vision“, eine der wenigen DDR-Bands mit rein englischen Texten, deren Musik man die Liebe zu „Depeche Mode“ und „Joy Division“ deutlich anhört, sind bereits dabei, ihre erste LP deutsch-deutsch zu produzieren.

Aufgenommen wird bei AMIGA im Osten (jahrelang hatte AMIGA sich aufgrund der englischen Texte geweigert, ein Album mit der „Vision“ zu machen!), abgemischt jedoch im Westteil der Stadt bei der „Preussenton“. Geyer, Sänger und Frontman der Band, sieht die Öffnung des Landes positiv: „Sicherlich wird Konkurrenzdruck entstehen, und die musikalische Qualität wird sich steigern müssen, aber ich finde es gut, daß wir jetzt auf dem Markt sind! Und ich hoffe, daß wir auch international eine Chance haben.“ Das ist durchaus möglich bei dem Charts-kompatiblen Dark Pop der „Vision“, zumal sie mit Alaska einen cleveren westlichen Manager haben, der die Tücken des hiesigen Musikbusineß kennt.

Dennoch: Die Aufbruchstimmung bei den unabhängigen DDR -Musikern ist so groß nicht. Die Stimmung in den Ostberliner Konzerten, Kneipen und Clubs war in letzter Zeit oft von einer undefinierbaren Leere und Schwermut bestimmt. Vielen Musikern - und deren Fans - scheint der radikale Umbruch den Boden unter den Füßen weggezogen zu haben.

Denn die unfreiwillige Isolation, die staatliche Reglementierung, die fehlenden Mittel und die Verbote hatten in der Vergangenheit jenes Zusammengehörigkeitsgefühl geschaffen, das Key Pankonin, Sänger der Band „Ich -Funktion“, als „Grundwärme“ bezeichnet. Die „Ich-Funktion“ ist übrigens eine der interessantesten kompromißlosen Undergroundbands, die eine eigenartige, sehr hörenswerte Musik zwischen „Amon Düül II“, „Fehlfarben“ und „Black Sabbath“ macht. Diese „gesunde Temperatur“ zwischen den Musikern wird sich jetzt wohl unter dem Druck des Marktes etwas abkühlen.

Einige Bands stellen sich schnell auf die neue, marktorientierte Situation ein - entweder ohne Probleme wie „Die Vision“ oder mit optimistischem Eifer wie „Feeling B“. Andere - wie die „Ich-Funktion“ - werden weiterhin im Untergrund basteln, relativ unbeeindruckt von Ost und West. Wieder andere - wie „Herbst in Peking“ - wissen momentan mit der neuen Situation noch schlecht umzugehen. Die Inspiration zu ihren Texten und ihrer Musik, die stark von den „Doors“, russischer Tanzmusik und „Velvet Underground“ beeinflußt ist, schien gerade aus der Reibung mit dem früheren System zu kommen. Sänger und Texter Rex findet (noch?) keine treffenden Worte für die plötzliche Freiheit.

Der kritische Punkt, an dem die DDR-Musikszene nun steht, kann nur mit viel Elan und Energie überwunden werden. „Man muß jetzt was machen - in zwei bis drei Monaten hat sich schon wieder alles etabliert!“ drängt Aljoscha von „Feeling B“, der wohl zu den engagiertesten Musikern des Landes zählt.

Diese neue Energie war - nach vielen seltsam unbefriedigenden Konzerten der letzten Zeit - erstmals letzten Samstag im Ostberliner „Haus der jungen Talente“ zu spüren, wo „Das Freie Orchester“, „Die Firma“ und „Freigang“ ein druckvolles, zorniges, positives Konzert gaben.

Birgit Herdlitschke

Konzerttips:

9.1.90: „Crack Down Society„/„Oh Yeah„/„Der Gelbe Wahnfried“ im „Haus der jungen Talente“ um 19.30 Uhr

10.1.90: „Herbst in Peking“ im Club Gerard Philippe

13.1.90: „Freies Orchester“ im JoJo-Club um 22 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen