: Sozialämter leisten Abschiebehilfe
■ Die aufenthaltsrechtliche Verbesserung für Flüchtlinge wird durch einige Sozialämter unterlaufen / Der Fall der Libanesin Zeinab B. und ihrer vier Kinder
Zeinab B. mußte sich gegen zwei ihrer Kinder entscheiden. Das Geld, das die Familie im Libanon für die Flugtickets zusammengespart hatte, reichte nur für fünf Personen. Die beiden Ältesten mußten beim Vater bleiben, die vier Jüngsten brachte die Mutter am 15. November letzten Jahres nach West -Berlin in Sicherheit. Ihre Wohnung in Beirut ist nur noch eine ausgebombte Ruine, ihre Notunterkunft - eine Schule außerhalb der Hauptstadt - mußten sie bald wieder räumen. In West-Berlin halfen ihr entfernte Verwandte die ersten Wochen mit ein wenig Geld über die Runden.
Anfang Dezember mußte Zeinab B. dann doch zum Tempelhofer Sozialamt, um Hilfe für sich und ihre Kinder zu beantragen. Dort wurde ihr folgende Erklärung zur Unterschrift vorgelegt: „Ich bin mit vier Kindern hier nach Berlin gekommen, da im Libanon Krieg ist und ich kein Geld hatte. Ich erhoffe mir, daß mir in Berlin finanziell geholfen werden kann.“ Juristisch gesehen kommt diese Unterschrift einem „Geständnis“ gleich, daß die Frau nicht etwa nach West -Berlin gekommen ist, weil im Libanon Bürgerkrieg herrscht, sondern um hier Sozialhilfe zu bekommen. Das Verwaltungsgericht bestätigte die ablehnende Entscheidung des Sozialamts und unterstellte „bedingten Vorsatz“, schließlich sei Zeinab B. „ohne gesicherte Aussicht auf einen Arbeitsplatz“ nach West-Berlin eingereist.
Das Bezirksamt Tempelhof sieht sich nun in seiner Politik gestärkt. Es gewährte noch ein paar Tage Sozialhilfe und stellte die Bezahlung des Rückflugtickets in Aussicht. Am 10. Januar fliege eine Maschine von Schönefeld nach Beirut, wurde der Libanesin mitgeteilt. In den Flüchtlingsorganisationen sind diese Praktiken einiger Bezirksämter bekannt. „Wir warnen unsere Leute natürlich davor, sowas zu unterschreiben“, so die Mitarbeiterin einer Beratungsstelle. Als „ausgemachten Skandal“ bezeichnete Frauke Hoyer vom Berliner Flüchtlingsrat das Verfahren des Bezirksamtes Tempelhof. Dieser Skandal hat allerdings System.
Die Sozialämter sind nur bei Asylbewerbern zur Zahlung von Sozialhilfe verpflichtet. Die sogenannte Flüchtlingsweisung vom Juni letzten Jahres, die vor wenigen Wochen in eingeschränkter Form neu erlassen wurde, berechtigt zahlreiche Flüchtlinge zu einer Aufenthaltserlaubnis - ohne das zermürbende Asylverfahren durchlaufen zu müssen. Viele, die unter Berufung auf die „Weisung“ ihre Asylanträge zurückzogen oder statt dessen von vornherein eine Aufenthaltserlaubnis beantragten, standen plötzlich ohne Sozialhilfe und Heimplatz da. Nicht mehr die mögliche Abschiebung bedrohte die Existenz der Flüchtlinge, sondern der Entzug der Lebensgrundlage. In einem Rundschreiben empfahl Sozialsenatorin Ingrid Stahmer den Bezirksämtern zwar, Sozialhilfe all den Flüchtlingen zu gewähren, die die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis erfüllen. Das zeigte in einigen Bezirken Wirkung - aber nicht in allen. Als besonders problematisch gelten laut Auskunft des Flüchtlingsrats Wedding und Wilmersdorf -, und nun auch Tempelhof.
Weil kein anderer Ausweg bleibt, empfehlen einige Beratungsstellen den Flüchtlingen wieder, Asyl zu beantragen. Eben das will Zeinabs Anwältin Maria Wilken unter allen Umständen vermeiden. Asylanträge von Flüchtlingen aus dem Libanon sind aufgrund der restriktiven Rechtsprechung faktisch aussichtslos. „Ich weigere mich, als Anwältin meiner Mandantin einen chancenlosen Asylantrag zu empfehlen, nur damit sie Sozialhilfe bekommt“, sagt Maria Wilken. „Und damit die Statistiken über Asylbewerber in die Höhe getrieben werden.“
Daß die Sozialsenatorin mit ihrem Rundschreiben alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, wird von Flüchtlingsorganisationen stark bezweifelt. In einem Brief an die Sozialverwaltung hatte der Flüchtlingsrat vorgeschlagen, den uneingeschränkten Ermessensspielraum der Sozialämter durch eine Ausführungsvorschrift zum Bundessozialhilfegesetz einzuschränken. Bis heute sei „keine Reaktion gekommen“, sagt Frauke Hoyer.
Das Bezirksamt Tempelhof in Gestalt des zuständigen Amtsleiters Horst Koths hat „sein Ermessen ausgeleuchtet“ und beschlossen, Zeinab B. und ihren vier Kindern solange Sozialhilfe zu zahlen, bis das Oberverwaltungsgericht entschieden hat. Horst Koths hofft, daß sich das OVG beeilt, man hätte doch „gerne was Grundsätzliches in der Hand.“
anb
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