: SED-Zeitung will vermitteln
■ Nach dem Streit am runden Tisch: 'Berliner Zeitung‘ übt sich in Kompromißfähigkeit / Massendemonstrationen gegen die SED
Berlin (ap/dpa) - Einen Tag nach dem Streit am runden Tisch um die Auflösung des DDR-Staatssicherheitsdienstes hat sich die SED-eigene 'Berliner Zeitung‘ am Dienstag mit einem Vermittlungsvorschlag zu Wort gemeldet. Das Blatt regte an, vorläufig zwei „Sondereinheiten“ einzurichten, die sich ausschließlich der Bekämpfung von Rechtsextremismus und Wirtschaftsspionage widmen und auch von der Opposition kontrolliert werden sollen.
Verfassungsschutz und Nachrichtendienst seien zwei Punkte, an denen eine gemeinsame Politik aller gesellschaftlichen Kräfte zu scheitern drohe, schrieb die Zeitung. Eine Gefahr von rechts sowie der Wirtschaftsspionage und -sabotage sei nicht von der Hand zu weisen. Entsprechende Organe seien wie überall auf der Welt nötig. Die demokratische Kontrolle müsse unter Berücksichtigung der notwendigen Geheimhaltungspflichten durch ein Gremium aller am runden Tisch versammelten Parteien und Gruppierungen wahrgenommen werden.
Am Montag abend hatten bei Massendemonstrationen in mehreren Städten der DDR Zehntausende Bürger ihrem Unmut über die neue SED-PDS Luft gemacht. In Leipzig forderten mehr als 100.000 Menschen in Sprechchören den Rücktritt des Parteivorsitzenden Gregor Gysi und skandierten: „Nieder mit der SED.“ An der ersten Montagsdemonstration in der Messestadt im neuen Jahr nahmen nach Augenzeugenberichten auch mehrere Vertreter der ultrarechten „Republikaner“ teil.
Die Anhänger des Parteivorsitzenden Franz Schönhuber, dem am Montag die Einreise in die DDR verweigert worden war, forderten „Wiedervereinigung jetzt - Volksabstimmung in Ost und West“ und verteilten Flugblätter. Im Vergleich zu den Demonstrationen Ende vergangenen Jahres waren Wiedervereinigungsparolen auf der Kundgebung jedoch selten. Bestimmendes Thema war die Kritik an der ehemaligen Staatspartei. „SED - das tut weh“ und „Gysi weg“ riefen die Teilnehmer auf ihrem Weg vom Karl-Marx-Platz über den Leipziger Ring. Auch Ministerpräsident Hans Modrow wurde vereinzelt zum Rücktritt aufgefordert.
Scharfe Kritik an der Machtstellung der SED-PDS wurde nach 'adn'-Berichten auch bei Kundgebungen in Frankfurt an der Oder, Magdeburg, Halle, Karl-Marx-Stadt und Cottbus laut. Vor mehr als 10.000 Menschen forderten Redner in Frankfurt unter anderem die Offenlegung des Parteivermögens, die sofortige Entlassung aller „Stasi- und Nasi-Mitarbeiter“ und wandten sich gegen „Panikmache“ der SED-PDS vor einer neonazistischen Gefahr. In Schwerin gingen etwa 8.000 DDR -Bürger gegen Rechtsradikalismus und einen Mißbrauch der gegenwärtigen Situation durch die SED-PDS auf die Straße.
Inzwischen gerät auch die Führung der Liberaldemokratischen Partei der DDR unter den Druck ihrer Basis, sich von der SED abzugrenzen. Der Kreisverband Strausberg zum Beispiel forderte den sofortigen Rücktritt des Sekretariats des Zentralvorstandes, dem auch der amtierende Staatsrats vorsitzende und LDPD-Vorsitzende Gerlach angehört.
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