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„Ein Land haben bringt Barbarei“

Mit Chantal Akerman, Regisseurin von „Histoires d'Amerique“, sprach Gunter Göckenjan  ■ I N T E R V I E W

taz: Woher kommen die Geschichten in „Histoires d'Amerique“?

Chantal Akerman: Ich bin ausgegangen von Briefen, die an eine jüdische Zeitung in New York geschrieben worden sind, Bitten um Ratschläge.

Die Witze zwischen den Geschichten haben mich gestört, weil sie gegen die Ergriffenheit arbeiten.

Ich glaube, man könnte es ohne die Witze nicht aushalten. Dann ist es aber auch etwas typisch Jüdisches, immer wenn etwas Schreckliches passiert, macht man einen Witz, weil man am nächsten Tag weitermachen muß, das ist eine Art des Überlebens.

Ich nehme an, daß du Rührung wie sie zum Beispiel „Holocaust“ herstellt, ablehnst.

Ich finde so etwas pornographisch. Die Leute sind bewegt, und sie heulen ihre Gefühle weg, und wenn der Film zu Ende ist, können sie ruhig schlafen gehen. Diese Art Film verbrennt Gefühle, und man ist danach entspannt. Bei solchen Themen ist die Hollywooddramaturgie fehl am Platz, frivol. Ein anderes Problem bei Holocaust ist, daß dort ein Bild des Grauenhaften, Ungeheuerlichen hergestellt wird, das dadurch faßbar und somit verharmlost wird. Deshalb ist es besser, darüber zu reden, als die Bilder zu zeigen.

Ich habe schon einige negative Reaktionen auf „Histoires d'Amerique“ gehört, wie sind die positiven?

Einige Leute, von denen ich dachte, sie würden sich dem nicht aussetzen, haben ihn dann sogar sehr gemocht, zum Beispiel meine Mutter. Sie war im Konzentrationslager, und sie wollte nie wieder etwas darüber hören und sehen. Als ich ihr von meinem Film erzählte, hatte sie große Angst, ihn sich anzusehen, aber schließlich liebte sie ihn doch. Ich habe versucht, den Grund dafür herauszufinden. Eines der größten Probleme für die Menschen, die die Lager erlebt haben, war die Zerstörung des Selbstbildes. Sie wurden erniedrigt und taten Dinge, die sie mit ihrem Menschsein nicht vereinbaren konnten. Sie schissen auf den Boden oder begingen vielleicht Bösartigkeiten, um zu überleben, wer weiß. Ich glaube, daß meiner Mutter der Film gefallen hat, weil sie darin eine Versöhnung mit ihrem Selbstbild sehen konnte. Die Menschen in dem Film sind stark, obwohl sie schwere Zeiten erlebt haben.

Was waren für dich die Beweggründe, den Film zu machen?

Histoires d'Amerique entstand als Versuch, meine Erinnerung zu erfinden. Meine Mutter hat kein Wort über ihre Erfahrungen im Konzentrationslager verloren. Ganz ohne Überlieferung der Eltern zu leben, habe ich immer wie ein Loch empfunden. Mit dem Film habe ich versucht, das Loch zu füllen.

Hat das funktioniert?

Ja, vor allem weil ich die Erfahrung mit den Schauspielern teilen konnte. Für viele amerikanische Juden ist das Problem ein bißchen anders, weil sie vor dem Krieg nach Amerika gekommen sind, aber auch ihnen fehlt die Kontinuität einer Überlieferung. Dort ging der zweiten Generation die Tradition durch den Anpassungsprozeß an die neue Kultur verloren.

Was bedeutet es für dich, Jüdin zu sein?

Das schöne daran ist, daß man irgendwo zugehört, ohne zu einem Land zu gehören. Ich glaube, daß das Land immer Barbarei mit sich bringt. Als hier die Mauer fiel, war auf einmal das Land wieder im Vordergrund. Die Juden haben Israel, und auch dort ist Blut. Über 2000 Jahre hatten die Juden kein Land, nur eine fantastische Idee davon, aber sie hatten ein Buch, und das hielt sie zusammen. Für mich bedeutet kein Land zu haben fern zu sein von der Barbarei.

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