: Kumpanei vor Rechtsstaat
■ Die Freilassung Schalck-Golodkowskis nützt den Geheimdienstlern beider Seiten
Rechtsstaatliche Bedenken und die Befürchtung einer Übermaßreaktion - mit dieser Begründung lehnte die Westberliner Staatsanwaltschaft die Auslieferung des ehemaligen Staatssekretärs Schalck-Golodkowski an die DDR -Justiz ab. Geht man die Argumentation des Generalstaatsanwalts Schultz auch nur oberflächlich durch, ist leicht erkennbar, daß es von Widersprüchen nur so wimmelt. Alle Zusicherungen, die er von den DDR-Behörden verlangt habe, so gibt Schultz selbst zu, seien eingeräumt worden. Dasselbe gilt für die Befürchtung einer „Übermaßreaktion“: Gerade dieses Argument fällt völlig in sich zusammen, wenn man berücksichtigt, daß der Generalstaatsanwalt der DDR sogar angeboten hat, die Graue Eminenz der Stasi-Schieber nach dem Prozeß wieder an die Westberliner Behörden zurückzugeben, damit diese sich höchstselbst ein Urteil über das Verfahren bilden können, oder, um es schlichter zu formulieren, den westlichen Behörden die Möglichkeit zu geben, Golodkowski laufen zu lassen. Deutlicher kann man gar nicht zum Ausdruck bringen, daß es der DDR-Justiz um Aufklärung und nicht Durchsetzung einer drakonischen Strafe geht.
Genau da liegt auch der Hund begraben. Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes in Pullach und eine entscheidende Einlassung Schalk-Golodkowskis am 5. Januar, soweit lüftete Schultz bereits am Dienstag den Schleier, hätten letztendlich den Ausschlag dafür gegeben, den Oberschieber der alten DDR auf freien Fuß zu setzen und damit in der Versenkung verschwinden zu lassen. Man habe nicht ausschließen können, daß der Mann in Ost-Berlin entgegen dem offiziellen Auslieferungsersuchen nicht doch wegen „landesverräterischer Tätigkeit“ angeklagt würde. Wenn die Westberliner Justiz durch die Blume der DDR unterstellt, sie würde einen schweren Rechtsbruch begehen, müssen sie dafür sehr gute Gründe haben. Daß diese Gründe in Pullach liegen, mochte Schultz im Gespräch mit der taz gar nicht mehr bestreiten. Offen ist nur noch die Frage, ob die Zusammenarbeit zwischen dem ranghohen Stasi-Mann und dem bundesdeutschen Geheimdienst erst nach seiner Festnahme Anfang Dezember zustande kam oder bereits auf eine längere gedeihliche Beziehung zurückgeht. Anders gefragt: Will der BND eine hochrangige Quelle schützen oder nur die Exklusivrechte für die Aushorchung eines Überläufers durchsetzen?
Eine Konsequenz ist in beiden Fällen evident: Der bundesdeutsche Geheimdienst verhindert eine adäquate Aufklärung der Öffentlichkeit der DDR und deckt damit indirekt die Exkollegen und Gegner von gestern. Gibt es bereits seit längerem einen heißen Draht zwischen BND und Golodkowski, ist die Ablehnung der Auslieferung völlig plausibel. Denn dann könnte in einem Prozeß die Kumpanei zwischen Stasi und BND zur Sprache kommen. So haben beide Seiten ihre jeweiligen Motive den großen Drahtzieher Schalck -Golodkowski wohlbehütet in der Versenkung verschwinden zu lassen.
Jürgen Gottschlich
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