Zum Volkskapitalismus

■ Potsdamer Wirtschaftswissenschaftler schlägt Umwandlung der Kombinate in Aktiengesellschaften vor

Berlin (dpa/taz) - Die wirtschaftspolitische Reformdebatte in der DDR treibt immer neue Blüten. Der jüngste Vorschlag, vorgetragen von dem Wirtschaftswissenschaftler Bodo Thöns von der Pädagogischen Hochschule in Potsdam, sieht die Schaffung eines „sozialistischen Aktienwesens“ vor. Dieser Idee folgen sollen die bisherigen Kombinate in Aktiengesellschaften umgewandelt werden. 55 Prozent der Aktien sollen in Staatseigentum verbleiben, die neue Gesellschaft selbst soll 20 Prozent halten und die verbleibenden 25 Prozent sollen auf die Mitarbeiter verteilt werden, wobei ein Anteil (15 Prozent der Gesamtaktien) in Namensaktien, die weder übertragbar noch vererbbar sein sollen, und ein Anteil (zehn Prozent der Gesamtaktien) frei zum Kauf seitens der Mitarbeiter angeboten werden sollen. Als zentraler Unterschied zur Strategie der Volksaktien, wie sie in den frühen sechziger Jahren in der Bundesrepublik und neuerdings von Maggie Thatcher in Großbritannien und auch in anderen ex-sozialistischen Ländern eingeschlagen wurde, wird hervorgehoben, daß Aktienausgabe und Aktienverkauf exklusiv an ein Beschäftigungsverhältnis im jeweiligen Kombinat gebunden ist. Der pädagogische Zweck dieses betriebssyndikalistischen Vorschlages liegt auf der Hand: Indem alle Arbeitnehmer zu Aktienbesitzern werden, soll ein sozialistisches Eigentümerbewußtsein entstehen, das wiederum als Motor für wachsende Leistungsbereitschaft und damit zu einer Steigerung der Arbeitsproduktivität führen soll. Neben dem dringlich gewünschten Motivationsschub der sozialistischen Werktätigen könnte eine Realisierung dieses Vorschlags auch einen Beitrag zur Kanalisierung des chronischen Geldüberhangs der DDR leisten. Durch den Kauf von Belegschaftsaktien würde ein Teil der Sparguthaben der DDR-Bevölkerung aufgelöst und den umgewandelten Kombinaten in Form von Eigenkapital zugeführt. Eine sektorale Nachfrageverschiebung von der Konsumgüter- zur Investitionsgüterabteilung wäre die Folge. Die Strategie der Ausgabe von Belegschaftsaktien, gedacht als Beitrag zur sozialistischen Wirtschaftsreform, weist allerdings auch Stolpersteine auf. So wäre es im Falle von Joint-ventures von DDR- und Westunternehmen durchaus möglich, daß die Belegschaftsangehörigen mit den Westanteilseignern abstimmen. Staats- und Unternehmensseite der DDR könnten so elegant überstimmt werden. Der Volkssozialismus könnte sich dann schnell in einen Volkskapitalismus wandeln.

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