piwik no script img

V.P. Singh: Kompromiß statt „Zauberstab„für den Punjab-Konflikt

■ Indiens neuer Regierungschef Singh macht vor 100.000 bei Kundgebung im Punjab Konzessionen

Ludhiana/Punjab (ap/dpa/taz) - Einen Kompromißvorschlag hat Indiens neuer Ministerpräsident V.P. Singh am Donnerstag den nach Unabhängigkeit des nördlichen Unionsstaates Punjab strebenden Sikhs bei einer Großkundgebung in der indischen Textilmetropole Ludhiana unterbreitet. Sikhs, die aus der Armee desertiert seien, könnten nun anderweitig im öffentlichen Dienst untergebracht werden. Außerdem kündigte er eine Überprüfung der Fälle inhaftierter Sikhs an.

Er habe keinen Zauberstab, sagte der Ministerpräsident den Hunderttausend oft skeptischen Zuhörern. Die Lösung des Konflikts liege jedenfalls nicht in den Korridoren der Ämter in Neu-Delhi, sondern im Punjab. Wohlwissentlich hatte Singh der Kornkammer Indiens, in der die Sikhs die Bevölkerungsmehrheit stellen, gleich nach seiner Wahl den ersten Besuch abgestattet. Zweitausend Menschen kamen dort bei den Auseinandersetzungen zwischen den extremistischen Anhängern der Sikh-Religionsgemeinschaft, die für ein unabhängiges „Land der Reinen“ namens Khalistan kämpfen, und der Hindu-Bevölkerung ums Leben.

1984 waren Hunderte von Sikhs aus der indischen Armee desertiert. Sie hatten sich geweigert, an dem von der damaligen Ministerpräsidentin Indira Gandhi befohlenen Angriff auf den Goldenen Tempel in Amritsar teilzunehmen, in dem sich bewaffnete Sikh-Extremisten verschanzt hatten. Die Rehabilitierung der Deserteure ist seither eine Hauptforderung der Sikhs.

Zudem versprach Ministerpräsident Singh den Opfern der Ausschreitungen, die auf die Ermordung der Ministerpräsidentin Indira Gandhi folgten, angemessene Entschädigungen. Mit dem Blutvergießen im Punjab fließe das Herzblut Indiens, fügte Singh hinzu. Mit seinen populären Antrittsbesuchen und Versprechen vermochte Singh zwar die Herzen sowohl der jubelnden Hindus als auch der Sikhs zu gewinnen, unter denen er sich ohne besondere Sicherheitsvorkehrungen bewegte.

Brüsten darf sich Singh jedoch erst, wenn es ihm gelingen sollte, auch das Vertrauen des Simranjit Singh Manns zu gewinnen. Mann wurde im vergangenen Herbst von der radikalen Bewegung mit der Führung betraut, als er noch wegen konspirativer Beihilfe an dem Attentat auf Indira Gandhi in Haft saß. Nach seinem Wahlerfolg sah sich die Regierung Rajiv Gandhi zu seiner Entlassung gezwungen.

Simranjit Singh Mann lobte zwar Singhs Punjab-Engagement und meinte gegenüber der Presse, daß der neue Premier auf dem rechten Weg sei. Doch seine einflußreiche Sikh-Partei Akali Dal und die Kongreßpartei des früheren Ministerpräsidenten Rajiv Gandhi boykottierten die Veranstaltung.

Doch nicht nur als Vermittler in Fragen politischer und religiöser Selbstbestimmung ist Singh angetreten. Die Wirtschaftspolitik der neuen indischen Regierung läßt von Woche zu Woche immer deutlichere Konturen erkennen. Devisenbringende Exporte sollen gesteigert, devisenverschlingende Importe drastisch verringert werden. Madhu Dandavate, der neue Finanzminister, erklärte in einem Zeitungsinterview, man werde die teure Zusammenarbeit mit ausländischen Investoren so weit wie möglich bremsen. Die „harten“ Währungsreserven reichen gerade noch für sechs Wochen, um die Importe zu bezahlen.

Vor zwei Jahren langten sie noch für drei Monate. Die Auslandsverschuldung steht bei über 50 Milliarden Dollar. Der von Indien als erniedrigend empfundene Gang zum Internationalen Währungsfonds steht bevor. Zwar wolle man sich nicht jede Bedingung diktieren lassen, sagt Dandavate, räumt jedoch ein, die Lage sei „von Stabilität weit entfernt“.

Luxusgüter sollen nicht mehr importiert und Massenkonsumgüter im Land selbst hergestellt werden. Nicht hohe Wachstumsraten allein sollen angepeilt werden - 1989 stieg das Bruttoinlandsprodukt um vier Prozent - sondern es gehe um die gleichmäßige Verteilung des Wachstums und darum, zu verhindern, daß die Schere zwischen Arm und Reich sich noch weiter öffnet, erklären die neuen Wirtschaftspolitiker.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen