: Genscher: Deutsche Journalistin freilassen
■ Hella Schlumberger im Folterknast von Diyabarkir / Staatsanwaltschaft wirft ihr kurdische Propaganda vor / Genscher warnt stellvertretenden türkischen Ministerpräsidenten vor Belastung der Beziehungen / Menschenrechtsverletzungen in der Türkei kritisiert
Berlin (taz) - „Eine große Türkei, ein Kurdistan mit gleichen Rechten“. Für diesen Satz, eingetragen in das Gästebuch eines Vogelparks, wurde die deutsche Journalistin und Soziologin Hella Schlumberger in der Türkei verhaftet und in das Militärgefägnis im kurdischen Diyarbakir gebracht.
Hella Schlumberger war am Mittwochmorgen in ihrem Hotel in Siirt festgenommen worden. Veranlasst hatte die Festnehme die Polizei von Birecik, in der Nähe von Urfa an der syrischen Grenze, in deren Bezirk sich der Vogelaufzuchtpark befindet. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, „kurdische seperatistische Propaganda“ betrieben zu haben. Nach §142 des türkischen Strafgesetzbuch steht darauf bis zu 10 Jahren Gefägnis. Nach dem Verhör durch die Staatsanwaltschaft in Birecik, wurde Hella Schlumberger am Donnerstagmorgen in den berüchtigten Knast von Diyarbakir verlegt.
Bundesaußenminister Genscher hat gestern die Freilassung der Journalistin gefordert und vor einer Belastung der deutsch-türkischen Beziehungen gewarnt. In einem Gespräch mit dem stellvetretenden türkischen Ministerpräsident Ali Bozer, der sich zur Zeit in Bonn aufhält, verwies Genscher darüberhinaus auf anhaltende Klagen über Menschrechtsverletzungen in der Türkei. Der deutsche Botschafter in Ankara hat nach Auskunft des Auswärtigen Amtes im türkischen Außenministerium gegen die Verhaftung protestiert und der türkische Botschafter in Bonn sei ins hiesige Auswärtige Amt zitiert worden.
Ebenfalls heftig gegen die Inhaftierung protestiert haben gestern die SPD und die Grünen, der Verband deutscher Schriftsteller und die Gesellschaft für bedrohte Völker. Hella Schlumberger sollte unter anderem für die Gesellschaft einige Flüchtlingslager irakischer Kurden und assyrischer Christen besuchen, um Hilfsmöglichkeiten für die Flüchtlinge zu erkunden.
Die Autorin, die bereits vor Jahren ein Buch über Kurden im Iran publizierte, hielt sich bereits seit Anfang Dezember letzten Jahres in der Türkei auf, um für ein neues Buch zu recherchieren. Nevcat Helvaci, Vorsitzender der türkischen Vereinigung für Menschrechte, teilte mit, Hella Schlumberger habe am 10. Dezember auf Einladung der Vereinigung an einer Feier für die Menschenrechte teilgenommen.
Das Gefängnis von Diyarbakir, in dem die Journalistin nun bis zu Prozeßbeginn festgehalten werden soll, gehört zu den berüchtigsten Folterorten der Türkei. Der Knast liegt in einem riesigen Militärareal und dient hauptsächlich der Inhaftierung politisch aktiver Kurden. Kurden werden in der Türkei als Minderheit nicht anerkannt. Seit den Erfolgen der Guerilla in den letzten Monaten geht das Militär in Kurdistan wieder besonders brutal auch gegen die Zivilbevölkerung vor. Seit dem Militärputsch vor 10 Jahren sind im Gefängnis von Diyarbakir mehrere Kurden zu Tode gefoltert worden.
Entsprechend besorgt zeigte sich der VS gestern um die Gesundheit der Kollegin. Die Gesellschaft für bedrohte Völker wies darauf hin, daß der Türkei in Europa ihre Menschrechtsverletzende Politik gegenüber ethnischen und religiösen Minderheiten immer noch nachgesehen wird. Stattdessen würde Persönlichkeiten, die sich für die Rechte der Minderheiten einsetzen, mit „dem lächerlichen Vorwurf, seperatistische Propaganda zu betreiben“ inhaftiert.
JG
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen