Ex-Stasi macht gut Wetter

Journalisten vom Verfassungsschutz der DDR eingeladen / Feindliche seismische Sonde vorgeführt / Argumente gegen Auflösung des Nasi / Ehemalige Stasi-Leiter jetzt beim Nasi / Zusammenarbeit mit bundesdeutschen Geheimdiensten absehbar  ■  Aus Zwickau David Crawford

Auf Einladung des Verfassungsschutzes der DDR besuchte eine Gruppe von Journalisten am 10.Januar 1990 Zwickau. Der neue Nachrichtendienst hat -trotz oder wegen seiner Ablehnung am runden Tisch- ein großes Interesse, die Öffentlichkeit über die Bedeutung seiner Arbeit zu informieren. Anlaß war die Enttarnung eines „perfekt getarnten, lückenlos arbeitenden, technischen Militärspions“ möglicherweise US-amerikanischer Herkunft. Angesichts der Widerstände am Runden Tisch gegen eine Einrichtung eines DDR-Verfassungsschutzes vor den Wahlen am 6.Mai ist das Nachrichten-Establishment der DDR nervös geworden. Oberstleutnant Stephan Roahl, Pressesprecher für den DDR-Verfassungsschutz, war im Amt für Nationale Sicherheit (Nasi) und dort in der Spionageabwehr tätig gewesen, bevor er zum Pressesprecher für das kurzlebige Amt für Nationale Sicherheit ernannt wurde.

Die Show war tatsächlich interessant: Die Geladenen konnten zusehen, wie Mitglieder des „Munitionsbergungsdienstes“ des DDR-Innenministeriums eine seismische Sonde ausgruben, die Bewegungen auf einer Straße zum Hintereingang des Militärkomplexes Ifersgrün aufzeichneten, wo die NVA ihr verschiedenes technisches Material gelagert hat. Das Instrument war in 16 Metern Entfernung von der Straße 30 Zentimeter tief vergraben.

Das Gerät analysiert Bodenerschütterungen, um Bewegungen auf der Straße aufzuzeichnen, die nach Fahrzeugen von sieben verschiedenen Gewichtsklassen (z.B. Jeep, Personenwagen, Lastwagen, Panzer, Raketenlafette) unterschieden werden können. Auch die Richtung, in die sich das jeweilige Fahrzeug bewegt, kann wahrgenommen werden.

Das Gerät verschüsselt die Informationen überaus kompakt, so daß die Bewegungen auf der Straße (in Zusammenfassungen von Vier-Stunden-Zeiträumen) direkt an einen Satelliten gesendet werden können. Weil die Sendung direkt in den Himmel gerichtet ist und nur eine Sekunde pro Woche dauert, ist es fast unmöglich, das Gerät zu entdecken.

Oberst Roahl bemerkte, die Information aus dem vorliegenden Gerät sei vergleichsweise unwichtig, aber als Teil eines ganzen Systems in der DDR und den Ländern des Warschauer Pakts sei ein Gesamtüberblick über militärische Bewegungen zu erreichen. Wahrscheinlich hat die Spionageabwehr der DDR ein Raster entwickelt, um die Geräte zu lokalisieren: zum Beispiel sind sie wahrscheinlich innerhalb von 20 Metern Abstand von Straßen vergraben, die ausschließlich für den Militärverkehr vorgesehen sind, an einem Ort, wo der Boden weich genug ist für schnelles Vergraben und genug Unterholz oder Büsche vorhanden sind, um das Vergrabungsteam und das Gerät längere Zeit zu verbergen.

Das Gerät sendet eine Warnung an seinen Satelliten, sobald es bewegt wird. Wir konnten das Warnsignal hören, das von Technikern des Verfassungsschutzes aufgezeichnet worden war.

Laut Oberst Roahl besteht der VS zur Zeit aus einer Arbeitsgruppe aus früherem Nasi-Personal, das in einem Büro in der Ruschestraße in Ost-Berlin arbeitet. Die Ruschestraße ist eine kleine Seitenstraße der Normannenstraße, gleich um die Ecke und durch einen Nebeneingang direkt erreichbar liegt das alte Hauptquartier der Stasi.

Leiter ist Herr Engelhardt - wahrscheinlich identisch mit Generalmajor Heinz Engelhardt, Stasi-Leiter in der Bezirksverwaltung Frankfurt/Oder. Nasi-Direktor Wolfgang Schwanitz war der Leiter der Bezirksverwaltung Berlin. General Engelhardt kommentierte am 11.Mai 1988 in der Frankfurter Zeitung 'Neuer Tag‘, die „Klassenauseinandersetzung schwäche sich nicht ab, sondern gewinne an Schärfe“ (unter Bezug auf die Nachrichtentätigkeit der BRD).

Oberst Roahl konnte nichts zum Umfang der „Arbeitsgruppe VS“ sagen, außer daß sie kleiner sei, als man vielleicht vermute.

Oberst Roahl stellte fest, mit der Auflösung des Nasi fehle der DDR eine funktionierende Spionageabwehr. Auf die Frage, warum die NVA nicht ihre eigene Spionageabwehr habe, erklärte Oberst Roahl, es gebe in der DDR kein Gegenstück zum Militärischen Abschirmdienst (MAD) der BRD. Ein Sprecher des Bundesamts für Verfassungsschutz in Köln bestätigt, daß die NVA tatsächlich keine eigene Abteilung für Spionageabwehr besitzt. Stattdessen wurde die militärische Spionageabwehr in der DDR unter der Stasi von der Hauptverwaltung I, der sogenannten „Verwaltung 2000“ durchgeführt.

In der Bundesrepublik wird die von dem Stasi in der DDR ausgeführte Rolle von einer großen Anzahl an Organisationen ausgeführt. Das Bundeskriminalamt (BKA), der Bundesnachrichtendienst (BND), der Bundesgrenzschutz (BGS), das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV), der Militärische Abschirmdienst (MAD), die Zentralstelle für Sicherheit in der Informationstechnik und andere Organisationen erfüllen sämtlich Funktionen, die im Ministerium für Staatssicherheit in der DDR zentralisiert waren.

Das Mißtrauen gegenüber der Stasi vervielfachte sich durch die Tatsache, daß es fast immer dieselbe Organisation war, die in das Leben der Menschen eingriff - nach den Prinzipien: „Jede/r ist ein potentielles Sicherheitsrisiko. Um sicher zu sein, muß man alles wissen. Sicherheit geht vor Recht.“

Während Nachrichtenexperten zwischen den verschiedenen Abteilungen der Stasi unterscheiden können (Auslandsspionage, Gegenspionage oder Telefonabhörtätigkeit im Inland), ist das dem Volk in der DDR nicht möglich. Alle 85.000 Mitglieder der ehemaligen Stasi sind in schlechten Ruf geraten, obwohl viele von ihnen Positionen bekleiden, die es in jedem Nachrichtendienst gibt: Wissenschaftler, die technische Informationen analysieren, Fälscher für falsche Dokumente oder Techniker, die geheime Geräte in Kugelschreiberspitzen installieren.

In Bezug auf die Zukunft des DDR-Nachrichtendienstes sei es vielleicht, meinte Oberst Roahl, nicht so wichtig, in welcher Organisationsstruktur die DDR-Spionabwehr angesiedelt sei. Das könne der Verfassungsschutz ebenso sein wie die NVA. Hauptsache sei, daß die Spionageabwehr überhaupt stattfinde. Die DDR ist aufgrund ihrer Mitgliedschaft im Warschauer Pakt verpflichtet, Spionageabwehr zu betreiben.

Die Zukunft des

DDR-Nachrichtendienstes

In einer Zeit, in der CIA und KGB die Vorteile engerer Zusammenarbeit auf vielen Gebieten entdeckt haben, einschließlich der Terrorismusbekämpfung, stellte Oberst Roahl fest, er könne engere Kontakte zwischen den Nachrichtendiensten von BRD und DDR voraussehen. Oberst Roahl bemerkte bei dieserGelegenheit, die Nasi habe bei der Untersuchung des Mordes am Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, geholfen. Diese Kontakte könnten für eine Reihe von Bereichen intensiviert werden, einschließlich Rauschgiftbekämpfung und Terrorismus.

Ein Sprecher des Bundesamts für Verfassungsschutz verneint jeden Kontakt zwischen seiner Behörde und dem Nachrichtendienst der DDR. Der BfV-Sprecher räumt jedoch ein, möglicherweise bestünden indirekte Kontakte auf der Ebene der Polizei, auf der die Staatssicherheit der DDR ebenfalls aktiv sei.

Von Kollegen zu Kollegen

Ein Exemplar der „Thesen zur Entmythologisierung des Verfassungsschutzes“, das mit „kollegialen Grüßen“ von Mitgliedern des BRD-Verfassungsschutzes, die in der ÖTV organisiert sind, an die Stasi-Kollegen geschickt wurde, erregte großes Interesse bei den Nachrichtenleuten der DDR und wurde weit verbreitet. Es wurde in der Nasi sogar diskutiert, das Papier zu veröffentlichen, das dazu aufruft, die „Leidenschaft zur Informationssammlung unter den Menschen“ einzudämmen. Unter dem Motto „Opas Verfassungsschutz ist tot“ rufen die Thesen zu einer Restrukturierung auf, um die Organisation an eine offene Gesellschaft anzupassen.

Oberst Roahl stellte unter Nachrichtendienstmitarbeitern der DDR auch einiges Interesse daran fest, eine „Interessenvertretung“ zu organisieren und, wenn möglich, eine Gewerkschaft und einen Betriebsrat zu bilden, ähnlich denen, die ihre BRD-Kollegen besitzen. Das Problem bestand bisher in ihrem quasi-militärischen Status. In den Streitkräften der DDR sind Gewerkschaften verboten.