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Wein von der Tribüne, Flaschen auf dem Rasen

■ Dritte Folge der kleinen taz-Serie über die Berliner Sportarenen / Heute: Stadion Wilmersdorf und Friedrich-Ebert-Stadion in Tempelhof

Wie rasch einstmals bedeutende Sportarenen in Vergessenheit geraten können, belegen das Stadion Wilmersdorf sowie das Friedrich-Ebert-Stadion in Tempelhof. Im November 1958 sagte Berlins Regierender Bürgermeister Willy Brandt: „Die Errichtung neuer Sportstätten wurde zu einer dringenden Aufgabe, deren Lösung wir ein gutes Stück nähergekommen sind.“ Damit waren in erster Linie die Zentren in Wilmersdorf und Tempelhof gemeint. Für ein volles Haus sorgten renommierte Fußballvereine: An der Tempelhofer Bosestraße lockte der frühere Deutsche Fußballmeister Viktoria 89 Abertausende in das Ebert-Rund; in Wilmersdorf zog es die Massen zum einstigen Berliner Meister BSV 92 an die Fritz-Wildung-Straße. Der Erfolg verblaßte - die viel zu großen Stadien blieben (allein das Hauptfeld in Wilmersdorf faßte bis zu 30.000 Menschen, das in Tempelhof war nicht halb so groß). Schon in den 70er Jahren gerieten beide Arenen in die ellenlange Mängelliste des Sportsenats für Stätten, die hätten renoviert werden müssen. „Das Ebert -Stadion könnte heute noch ein zentrales Stadion sein“, glaubt Peter Gil, Sportamtsleiter in Tempelhof, „auch für den Verein Blau-Weiß 90, der ja hier beheimatet ist. Bei einer rechtzeitigen Sanierung hätte man die Stehstufen erhalten können.“ Jetzt aber sind die Zuschauerränge arg lädiert, so daß nur noch „zirka 5.000 Zuschauer, höchstens“ (Gil) Einlaß finden werden, sollte die wohl 1990 beginnende, über eine Million Mark teure Instandsetzung dereinst beendet sein. Fazit von Sportamtsleiter Peter Gil: „Ich glaube nicht, daß das Ebert-Stadion noch einmal eine bedeutende Rolle spielen wird.“ Momentan verfolgen hier jeden Spieltag etwa 20 bis 30 Zuschauer, wie sich die traditionsbeladene Viktoria gegen den Abstieg aus der Landesliga stemmt.

Es ist nur wenige Monate her, da gelangte das Wilmersdorfer Pendant in die Schlagzeilen. Vielleicht, sinnierte Sportstadtrat Werner Kleist, könnte man den Sportkomplex an der Fritz-Wildung-Straße als machbare Alternative zum auf Eis gelegten Poststadion präsentieren? Doch „den Wünschen des Berliner Fußball-Verbandes nach einem reinen Fußballstadion konnten wir nicht entsprechen“, äußert sich der bezirkliche Sportamtsleiter Jürgen Prenzlow noch diplomatisch zu den hochfliegenden Plänen der BFV.

Der Versuch, an dieser Stelle das neue FU-Sportzentrum zu bauen, war schon am nachhaltigen Einspruch des ortsansässigen BSV 92, der um seine rührige Vereinsarbeit fürchtete, gescheitert. Sieben Jahre später stand die Anlage wieder auf der Kippe, weil bei Bauarbeiten Giftstoffe im Boden gefunden wurden: denkbar schlechte Grundbedingungen für eine überregional bedeutsame Anlage. Demnächst wird dennoch im Stadion gründlich umgebaut, der Rasen erneuert und die Leichtathletik-Anlage modernisiert. Rund 2,2 Millionen Mark zweigt dafür der Senat aus seinem Sportanlagen-Sanierungsprogramm ab. Nach Abschluß der Arbeiten wird das Hauptsportfeld nicht mehr das sein, was es einmal war.

„Eine Zuschauerkapazität zwischen 20.000 und 30.000 Plätzen wird es nicht mehr geben. Die Stehstufen sind zwar nicht lebensgefährlich, aber auch nicht in Ordnung“, blickt Prenzlow in die nahe Zukunft. 2.000 überdachte Plätze offeriert er in dem renovierten Oval, genug für den Schulsport, die Leichtathleten des BSV 92 sowie die beiden Landesliga-Fußballmannschaften 1.FC Wilmersdorf und BSV 92. Die nicht benötigen Zuschauerterrassen gegenüber der Haupttribüne werden indes artfremd genutzt. Seit 1984 dienen sie als Werbung für die Wilmersdorfer Rheingau-Perle. Die Flaschen befinden sich auf dem Rasen.

Jürgen Schulz

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