: Talk-Shows-betr.: "Späte Rache an Schnitzler", taz vom 9.1.90 und "Talking Freak Radio", taz vom 8.1.90
betr.: „Späte Rache an Schnitzler“, taz vom 9.1.90
(...) Auch mich hat die Sendung wütend gemacht. Die Moderatoren Florian Fischer-Fabian und Heidi Schüller waren ihrer Rolle als Gesprächsleiter schlichtweg nicht gewachsen. Nicht nur, daß sie die Teilnehmer - allen voran Schnitzler ständig unterbrachen und Herzberg (SDP) kaum zu Wort kommen ließen... Selbst zwischendurch lautwerdende Unkenrufe aus dem Publikum von wegen „Wo blieb bei alledem der Mensch und wo die Gefühle, Herr Schnitzler?“, die im übrigen mehr emotional geladen waren denn zur allgemeinen Aufklärung interessant waren, wurden in schier unverschämter Weise unterbunden. Wie abgesprochen dröhnten auch die Gäste abwechselnd auf Schnitzler ein, so daß einem der arme Mann beinahe schon wieder leid tun konnte. Besonders 'Bild' -Kolumnist Rudorf schoß bei diesem Profilierungsgehabe den Vogel ab. Wie „Zehn Pistolen“ legte er los, was den Eindruck erweckte, als wolle er einem potentiellen Umschwung auf das immer wieder bristante Thema 'Bild‘ vorbeugen, Ganz nebenbei: Vielleicht sollte man sein Statement einmal andersrum formulieren: Wir mußten 30 Jahre lang die 'Bild' -Zeitung ertragen. Wann ist endlich Schluß?
Sachlich bei der „Diskussion“ blieben lediglich Schily (SPD) und Herzberg von der DDR-Nachbarpartei. Für letzteren war die Angelegenheit ganz einfach: „Ich habe diesen Mann nie ernst genommen.“ Ein bißchen zu einfach möglicherweise für 30 Jahre Beschiß nach Strich und Faden.
Und noch ein Wort zu de Maiziere: Sein Verhalten erinnert mich an eine Talk-Show vor etwa einem drei Viertel Jahr, als einer der Moderatoren die Sendung vorzeitig verließ, weil ein junger Vertreter der „Republikaner“ dem Talk beiwohnen sollte. Es ist zu überlegen, ob man solche Leute generell mittels derartiger Fernsehbeiträge publik bis populär machen sollte. Und doch: Ist die Reaktion eines de Maiziere in einer Demokratie wirklich die entsprechende Form der Auseinandersetzung? Und handelt es sich hierbei nicht vielmehr um einen persönlichen Mangel, mit solchen Leuten umzugehen?
Hätte man Schnitzler nicht wirklich die Chance geben sollen, sich zu rechtfertigen? Bei aller Antipathie für diesen SED-Propagandisten, aber einen Menschen verbal zu unterdrücken ist nicht fair und grenzt - wo wir schonmal beim Thema sind - an Stasi-Methoden.
(...) Schade, mich hätten die Ausführungen brennend interessiert.
Cornelia Ganitta, Lüneburg
betr.: „Talking Freak Radio“, taz vom 8.1.90
In Olgas Standbild zur NRD-2-Talkshow fällt die notwendige Kritik leider der gewollten, durchaus amüsanten Fetzigkeit zum Opfer.
Der als fetter Fernsehfuzzi apostrophierte Dagobert Lindlau vertritt ja nicht nur ein schlimmes, gefährliches und verlogenes, aber inzwischen weit verbreitetes Selbstverständnis von JournalistInnen, nämlich „wertneutrale“, streng objektive ChronistInnen zu sein. Er maßt sich damit auch noch eine Fähigkeit an, die es nachweislich beim Menschen überhaupt nicht gibt: je nach Bedarf und auf Abruf eigene Überzeugungen und Sichtweisen völlig außer acht lassen zu können - also die reine Information zu liefern.
Lindlau beweist diese Tatsache noch in der gleichen Sendung. Im Zusammenhang mit dem merkwürdigen Herrn Oertel läßt er wörtlich verlauten: “... das ist ein Delikt, das im Vorfeld bestraft wird. Es muß im Vorfeld verfolgt werden. Der Witz... der Paragraph... oder das Delikt der kriminellen (er meint natürlich terroristischen) Vereinigung“, so stottert er, „ist ja deswegen geschaffen worden, damit man so gefährliche Vereinigungen fassen kann, bevor sie etwas tun.“
Lobpreisung für einen Unterdrückerparagraphen! Aber was schert es einen Chronisten, was sein angeblicher Rechtsstaat mit diesem Paragraphen in den letzten Jahren vielen jungen Menschen angetan hat und noch antun wird. Er verhält sich so, wie er sich nach eigenem Bekunden im Fall der noch nicht zerstörten rumänischen Dörfer auch verhalten hat: Er prangert nicht an. Er wartet, bis es passiert. Dann berichtet er. So, das weiß er genau, entgeht man am ehesten dem Risiko, an eigenen Überzeugungen festgemacht zu werden.
Und er verrät sich doch! Er und seine vielen vielen GesinnungsgenossInnen, die als Berufsbezeichnung JournalistIn angeben und dennoch nur ManagerIn der Nachricht, BeherrscherIn der Inforamtion und TrägerIn des Staatsinteresses sind. Das ist zeitgemäß und minimiert das Risiko. Mit Überzeugungen hat man eben schon mal schlechte Erfahrungen auf deutschem Boden gemacht. Jetzt versucht man es zur Abwechslung mal ohne. Aber wie sagte schon weiland Goethe: Sage mir, was er wegläßt und ich sage Dir, wer er ist.
Ich grüße alle Menschen, in deren Leben die Vorfeldjustiz eine tägliche Rolle spielt: Kämpfende Gefangene, deren Eltern, Geschwister und Freunde.
H.P., Frankfurt/Main
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen