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GRENZVERKHER

 ■  Gemein: Bundesbürger holen sich Begrüßungsgeld zurück

Gastwirt müßte man sein: Rinderfilet drüben für 12 DDR-Mark (offiziell 4 DM, schwarz 2 DM) das Kilo einkaufen und für 30 Mark pro 200 Gramm frisch auf den Steak-Haus-Tisch am Ku'damm. Oder ein Elektronik-Konzern mit Filiale in West -Berlin: Hochspezialisierte Techniker arbeiten lieber für 30 D-Mark als für 8 Ostmark die Stunde, vor allem wenn sie weiter bei Frau und Kindern in Pankow wohnen und jetzt an einem Tag die Miete für ein ganzes Jahr verdienen. Für DM -Besitzer kostet ein Kilo Brot in der DDR 50 Pfennige, einen Liter Benzin gibt's für 3 Groschen, 100 Gramm Salami für 20 Pfennige - ein Idiot, wer da nicht einkaufen geht. Oder zumindest essen: Rinderbraten mit Kartoffeln und Rosenkohl offiziell für 1,35 DM, bei Schwarztausch für 45 Pfennige...

Über das großzügige Begrüßungsgeld haben die DDR-Bürger sich zu früh gefreut - seit dem 3.Januar wird kaufrauschmäßig zurückgeschossen: In allen Geschäften der Grenzstädte wimmelt es von West-Besuchern, die für ein paar Groschen zusammenkaufen, was irgendwie niet- und nagelfest scheint. Am Wochenende ein dramatischer Aufruf an das BRD -Volk: „BILD bittet: Kauft drüben nicht die Läden leer. Nehmt unseren Freunden nicht das Wenige weg, das sie zum Leben brauchen. Laßt ihnen Fleisch und Wurst und Fisch. Bei uns gibt es dies alles im Überfluß, auch wenn's etwas teurer ist.“ Wo doch gerade dies - einkaufen, wo es „etwas teurer“ ist - diametral den Grundsätzen widerspricht, die wir im Moment in der DDR einführen: denen der Marktwirtschaft. Die funktioniert, trotz aller sozialen Enthärtungen, nach wie vor nach dem alten Wolfs-Prinzip: Was wohlfeil und wehrlos ist, wird weggebissen. Wie Siemens mal eben Nixdorf wegbeißt, so kauft der pfiffige Berliner den Sonntagsbraten im Osten - keine Frage der Moral, sondern eine ganz einfache Rechnung. So simpel wie die gequälten Mienen der Großindustrie und ihrer Minister nach dem Beschluß der DDR -Volkskammer, sie höchstens 49 Prozent vom Joint-venture -Braten abbeißen zu lassen. Wie soll aber beispielsweise ein Theo Waigel die darniederliegende Augenbrauen-Produktion der DDR auf Vordermann und Weltmarktniveau bringen, wenn er nicht mal zur Hälfte das Sagen hat??? - es wird ein Zetern und Zerren geben um die fehlenden 2 Prozent, ein bißchen Markt gibt's genausowenig wie ein bißchen schwanger, die Investoren wollen ein Prachtkind oder gar keins; bevor also die bereitliegenden Samenspenden im großen Stil gen Osten wandern, müssen die Vaterschaftsangelegenheiten 51prozentig geklärt sein.

Daß die letzte Bastion des Sozialismus - die fehlenden 2 Prozentpünktchen - recht bald gestürmt wird, dafür wird, neben dem Druck der großen Geldsäcke, der kleine Grenzverkehr sorgen: die schamlose, aber streng marktwirtschaftliche Ausnutzung des Preis- und Währungsgefälles. Die SED könnte heute unbesehen ihre Plakate gegen Schacher, Schieberei und Schwarzhandel aus den fünfziger Jahren wieder aufhängen, sie würden so wenig nützen wie damals, als man zwecks Fortsetzung mit anderen Mitteln das Beton-As aus dem Ärmel zog: die Mauer. Nur durch eine neue Mauer, scharfe Grenzkontrollen, Suche nach Koteletts in jedem Kofferraum, ließe sich der deutsch -deutsche Handel und Wandel unterbinden - eine illusorische Option, und deshalb kann sich die SED ruhig auflösen: Ohne Mauer hat sie auch als PDS keine Chance. Von unten wird zementiert, was oben zusammenwachsen will - mit 100 DM pro Kopf wurde das DDR-Volk äußerst wirksam angefixt, und die Dealer aus dem Westen haben Blut geleckt. Auf einem solchen Umschlagplatz gibt es kein Halten...

Mathias Bröckers

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