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Türkischer Bruderkuß mit Folgen

Der VfK Schifferstadt gewinnt den Hinkampf des Meisterschaftsfinales der Ringer gegen den AC Goldbach mit 24,5:13,5  ■  Von Günther Rohrbacher-List

Ludwigshafen (taz) - Um 14 Uhr 30 wurde es dunkel in der Ludwigshafener Friedrich-Ebert-Halle, die Scheinwerfer kreisten und mit martialischer Stimme kündete der Hallensprecher vom Beginn des Vorkampfes der Deutschen Mannschaftsmeisterschaft im Ringen zwischen dem VfK Schifferstadt und AC Bavaria Goldbach. Dann kamen sie: kleine Schmächtige, große Stämmige und die halbwegs normal gebauten Männer mit ihren Trainern und ihrem Troß.

So ähnlich muß es in früheren Zeiten im Rom der Gladiatorenkämpfe zugegangen sein, wo Ringen auch schon zum Programm gehörte. Leider übertrieben es die Römer mit der Härte, und 400 nach Christus folgte prompt die Strafe: Kaiser Theodosius verbot das Spektakel, bei dem es zuletzt nur noch um die perfekteste Malträtierung der Gegner gegangen war.

Von solchen Zeiten und Sitten sind wir heute weit entfernt. Rahmi Harunoglu, Schifferstädter Türke, und sein Landsmann Ahmet Cakici begrüßten sich gar mit Bruderkuß. Damit lullte der Außenseiter Rahmi den Favoriten wohl derart ein, daß dieser, überwältigt von der unerwarteten Nettigkeit seines Kollegen, zu punkten vergaß. Harunoglu siegte sensationell mit 4:3 und trug entscheidend zum Elf-Punkte-Vorsprung der Vorderpfälzer vor dem Rückkampf bei.

Schifferstadt hatte gut daran getan, auf sein Heimrecht zu verzichten und im Dunstkreis der Chemie zu ringen. Vier Fünftel der 3.500 Zuschauer und Zuschauerinnen - tatsächlich interessierten sich auffällig viele Damen jeden Alters für die Griffe und Würfe der leichtbekleideten Herren - standen hinter den Kraftsportlern aus der - was sonst? - Ringer- und Rettichmetropole der Republik. Schifferstadt, zwischen Speyer und Ludwigshafen gelegen, muß am Sonntag nachmittag wie ausgestorben gewesen sein, so mancher Einbrecher könnte hiervon profitiert haben.

Namen wie Wilfried Dietrich, erfolgreichster deutscher Ringer aller Zeiten und vor Jahren (pfui!) nach Kapstadt/Südafrika ausgewandert, Paul Neff und Werner Schröter, handtuchschwingender Pausenagitator und noch Trainer des VFK, haben die Gemeinde bundes-, europa-, ja weltweit bekannt gemacht. Jedes Jahr Anfang Juni findet in Schifferstadt das Rettichfest statt, just zu der Zeit, da im Ringen eine Pause angesagt ist. Gesalzene Rettiche mit Butterbrot werden dann zum Schoppen Bier gereicht. Hier kennen sich die meisten Menschen noch gegenseitig, und so stehen sie, wie auch der grüne Beigeordnete Bernhard Kukatzki, zuständig für Umwelt und Verkehr („Mein Vater hat früher mal gerungen“), hinter dem VfK.

Dabei hatten in der Ebert-Halle zunächst die Goldbacher Grund zum Fröhlichsein. Nach nur 45 Sekunden hatte Rainer Heugabel den erst 15 Jahre alten Horst Lehr geschultert. Und nach dem „Elefantentreffen“ des 104,5 Kilogramm schweren Weltmeisters Gerhard Himmel mit dem nur drei Kilogramm leichteren Franz Seelos stand es gar 7:0 für die Blauen. Markus Scherer, Fliegengewichts-Europameister von 1989, und Ludwig Schneider rückten die Relationen wieder zurecht. Sie beherrschten ihre Gegner klar und verkürzten auf 6:8. Einen der packendsten Kämpfe boten Laszlo Mikosch und Ali Topsakal. Nach einer 3:0-Führung enttäuschte der Goldbacher Türke jedoch, und der Rumäniendeutsche zog zum Vierpunktesieg davon.

Damit hatten die Pfälzer erstmals die Führung übernommen und gaben sie auch nicht mehr ab. Bogdan Daras rang Armin Rachor nieder, der mit plumpen Kopfstößen vergeblich versuchte, den Polen zu stören. Rifat Yildiz gelang dann der letzte Goldbacher Erfolg gegen den 34jährigen Altmeister Thomas Passarelli, bevor ein makabrer Kampf begann. Der Goldbacher Alexander Leipold betrat die Matte bandagiert von den Oberschenkeln bis zu den Knöcheln und war wegen diverser Verletzungen (Knie, Meniskus, Bänder) seinem Gegenüber Andreas Kubiak hoffnungslos unterlegen. Wie ein krankes Zebra schleppte sich Leipold durch die sieben Minuten, gebracht hat es Goldbach nichts, und gesünder ist der Bantamgewichtler davon auch nicht geworden.

So mußten die Leichtgewichtskämpfe Aufschluß geben, wer mit den besseren Karten in den Rückkampf gehen würde. Als dann Rahmi Harunoglu Ahmet Cakici bezwungen hatte, glich die Ebert-Halle einem Tollhaus. Sieben Punkte Vorsprung waren es jetzt gegen den „FC Bayern MÜnchen des Ringens“ (Werner Schröter), anstatt der zu erwartenden drei, und Weltmeister Claudio Passarelli machte es zum Schluß ganz kurz - der arme Markus Rill sah sich zum tapsigen Spielbär degradiert, der Punktrichter kam mit der Anzeige nicht mehr nach und nach zwei Minuten waren des Goldbachers Qualen vorbei.

Gefeiert wurden die Schifferstädter Ringer hinterher, als seien sie schon am Ziel. Allein Trainer Schröter wiegelte ab: „Wir sind noch lange nicht Meister.“ Die Goldbacher werden am Freitag in Frankfurt-Höchst die Mehrzahl der Zuschauer hinter sich haben und vielleicht verborgene Trümpfe aus der Tasche ziehen, zumal die Stilarten gewechselt werden. Trotzdem bedarf es keiner Hellseherei, die Vorhersage zu wagen, daß in Schifferstadt in der Nacht vom 19. auf den 20. Januar die Zapfhähne nicht stillstehen werden.

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