„Sagen, daß man sich schämt!“

■ Prof. H. Walter hielt die Festrede zum 125. Geburtstag des Bremer Naturwissenschaftlichen Vereins - über Rassenideolgie

taz-Gespräch mit Prof. Dr. Hubert Walter, Humanbiologe an der Bremer Universität, fast 60 Jahre alt. Zur Erinnerung: Im September 1989 sollte die Jahresversammlung der 'Gesellschaft für Anthropologie und Humangenetik‘ stattfinden. Frauen des Bremer Genforums hatten personelle und theoretische Verflechtungen der Gesellschaft mit nationalsozialistischer Rassenkunde angeprangert; der damalige Vorsitzende, Prof. Walter, bestätigte damals in großen Teilen die erhobenen Vorwürfe, sagte dann aber kurzfristig den Kongreß ab.

taz: Hat man nach dem geplatzen Kongreß in der Gesellschaft die Thematik offen diskutiert?

Prof. H. Walter: Einige haben das nicht verstanden übrigens haargenau die, die im Mittelpunkt der kritischen Diskussion stehen. Ein großer Teil meiner Kollegen, auch der Humangenetiker, vor allem die Ausländer, haben das verstanden und ahnten, was alles im Hintergrund eine Rolle spielt.

Ist denn jetzt eine Bereitschaft da, das Thema Rassenhygiene durch Anthropologie und Humangenetik öffentlich zu diskutieren?

Einige Kollegen haben sich ja schon immer kritisch damit befaßt, z. B. Prof. Seidler, den ich bewußt zum Schlußvortrag eingeladen hatte. Wir haben jetzt einen neugewählten Vorstand und Beirat, die garantieren, daß die Themen, die Jahrzehnte unter den Tisch gekehrt worden sind, öffentlich diskutiert werden. Das sind Leute, die in der Vergangenheit schon Zivilcourage gezeigt haben.

Am Montag haben Sie zum Thema '125 Jahre Naturwissenschaftlicher Verein in Bremen‘ einen Vortrag über Rassenideologie gehalten.

Als die 125-Jahres-Feier anstand, war es für uns selbstverständlich, daß wir auch diese Dinge, so schwierig das für uns ist, öffentlich zur Diskussion stellen. Bei der 100-Jahr-Feier damals ist das in vier Zeilen abgehakt worden.

Ging das jetzt ohne Querelen im Verein ab? Hatten nicht einige ehrwürdige Mitglieder Bedenken?

Die haben wir gar nicht gefragt. Das war Entscheidung von Herrn Cordes (Uni-Konrektor und Vereins-Vorsitzender, d. Red.), von Herrn Kuhbier und von mir. Das einzige was man heute tun kann, ist doch, öffentlich zu sagen, daß man sich schämt!

Gibt es auch heute noch Vereins-Mitglieder, in Bremen angesehene Personen, die sich im Sinne der Rassenhygiene hervorgetan haben und die Aufklärung befürchten müssen?

Die sind alle gestorben oder ausgetreten worden. Aber wir hätten keine Angst, das öffentlich zu machen. Das wäre doch verlogen!

Im Publikum saßen auch die Bremer HumangenetikerInnen Prof. Schloot und Dr. Albrecht - und schwiegen. Sie, Herr Walter, haben ja das Thema Rassenhygiene durch Anthropologie und Humangenetik in der anthropologischen Gesellschaft und jetzt auch im 'Naturwissenschaftlichen Verein‘ zur Sprache gebracht. Haben daraufhin die Humangenetiker Schritte auf Sie zu gemacht, um das mal gemeinsam aufzuarbeiten?

Nein.

Für Sie war das kein Thema wie jedes andere, das hat man beim Vortrag gemerkt.

In Anlehnung an Carola Stern: Kinder, die die Nazizeit erlebt haben, wie ich, brauchen ihr ganzes Leben, um mit dem fertig zu werden. Ich bemühe mich, ruhig zu bleiben, aber es geht oft nicht. Fragen: S.P