: Standbild: ... der Doppelperspektive
■ Deutsches aus der anderen Republik
Weil im Mediengeschäft nichts so wichtig ist wie die heißeste Meldung, die brandaktuelle Berichterstattung, mußte am Montagabend der angekündigte Beitrag Deutsches aus der anderen Republik (ARD) dem Brennpunkt - zum Thema: Stasi -Zentrale - weichen. Jürgen Engert versuchte, seinen beiden ostdeutschen Gesprächspartnern im Studio, Zeugen vor Ort an diesem Tage, zu entlocken, was die aufgebrachte Menge in der Berliner Stasi-Zentrale Aufregendes ans Tagesslicht befördern konnte. Doch da war nichts Sensationelles gefunden worden. Das Wesentliche vollzog sich an diesem Montag eher auf unspektakuläre Weise: Es war mehr als nur eine symbolische Geste, daß zwei führende Oppositionelle, Konrad Weiß (Demokratie Jetzt) und Ibrahim Böhme (SPD), Ministerpräsident Modrow in ihrer Mitte durch die „verbal aggressive Menge“ (Weiß) zum Ort des Geschehens geleiteten. Nachdem sich die DDR-Regierung durchgerungen hatte, über die Staatssicherheit, die einstige wahre Macht im Staate, aufzuklären, fand sich die Opposition am runden Tisch offenbar bereit, nun mit dem Kabinett Modrow eine Partnerschaft einzugehen. Jürgen Engert, der die Ereignisse ans Publikum zu bringen hatte, suchte die Sensation vergeblich im Aktenstaub der Stasi-Keller. Ein abgeklärter Fritz Pleitgen-Reporter vor Ort - und Gesprächspartner im Brennpunkt-Studio - fand die Ereignisse nicht so tragisch und versuchte seinen Journalistenkollegen darüber zu trösten, daß die ostdeutschen Gesprächspartner nicht die erhoffte Story lieferten. Es offenbarten sich einmal mehr deutsch-deutsche Verständigungsschwierigkeiten, wie so oft in den vergangenen Wochen.
Da ist es doch weitaus sicherer, man läßt sich erst gar nicht auf das direkte, bloßlegende Frage-Antwort-Spiel einer Politik-Talk-Show ein, sondern liefert seinen (subjektiven) Bericht von dem, was die im Programm nach hinten verschobenen Deutschen in der anderen Republik so treiben. Und das hebt nicht nur östlich der Elbe so manches Weltbild völlig aus den Fugen. Wie wird es wohl einem Bundeswehroffizier zumute gewesen sein, nachdem ihm Claus Richters Beitrag vorgeführt hat, daß den ostdeutschen Militärs - sagen wir einmal vorsichtig, der niederen Dienstgrade - das Feindbild abhanden gekommen ist?
Was bleibt einem Kommunalpolitiker mit Charisma, dem man noch vor ein paar Wochen in der DDR eine große Zukunft prophezeit hat, übrig, wenn er schon heute im Wahlkampf ohne Chancen ist, weil er einer Partei angehört, die keiner mehr haben will? Wolfgang Berghofer, SED-PDS, führender Mann in Dresden, einflußreiche Stimme am runden Tisch, äußert sich gegenüber dem Reporter vorsichtig. Denn man kann nie wissen, was kommt, und man darf sich die Perspektiven nicht verbauen. Die wollte offensichtlich auch Reporter Erhard Thomas dem Dresdner nicht vermiesen und stellte einen sich distanziert gebenden Beitrag zusammen, aus dem wenig von den Fähigkeiten des Politikers Berghofer wie dem Menschen zu erfahren war.
Wer in der Bitterfelder Gegend wohnt, weiß, was er davon hat: weniger Lebenserwartung. Das ist nicht, wie schließlich in Horst Hanos Beitrag vermutet, ein sich hartnäckig haltendes Gerücht, es ist die nackte Wahrheit. Die Berliner wundern sich momentan, warum im mitteldeutschen Raum zwischen Bitterfeld, Halle und Leipzig eine derart aggressiv -fordernde Stimmung herrscht: Wer Bitterfeld aus eigener Erfahrung kennt, wird es verstehen können. „Wenn hier nicht bald was passiert“, sagen die Arbeiter zum Bambi-Preisträger Hano, „dann werden wir zu euch kommen.“ Diese Quasi-Drohung der Arbeiter hinterläßt mehr Wirkung als die spärlichen Informationen über das wahre Ausmaß der ökologischen Katastrophe, die Horst Hano zusammentrug.
Sibylle Licht
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