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„Schlimmer kann es nicht kommen“

Die Odyssee der Boat people geht weiter / Die britische Regierung bleibt bei ihrer Repatriierungspolitik / Für viele sind Zwangsrepatriierungen und Lagerleben in Hongkong schlimmer als die Erwartungen in der neuen alten Heimat Vietnam / Hinter der Verhandlungsmasse der Boat people stehen traurige Einzelschicksale  ■  Aus Hanoi Larry Jagan

Gegen die Zwangsrepatriierung der Boat people in Hongkong hat am Montag die Menschenrechtsorganisation amnesty international protestiert und der britischen Regierung erneut vorgeworfen, die Grundrechte der Flüchtlinge, die in ihrer Heimat von politischer Verfolgung bedroht seien, zu mißachten. In einer in London veröffentlichten Studie heißt es, daß aufgrund von Mängeln bei dem Auswahlverfahren der Hongkonger Einwanderungsbehörden manche Vietnamesen, denen der politische Flüchtlingsstatus zustehe, dem Risiko ausgesetzt würden, in ihre Heimat zurückgeschickt und dort Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu werden (afp).

Douglas Hurd, der britische Außenminister blieb dabei, auch weiterhin wird seine Regierung die Politik der zwangsweisen Repatriierung unterstützen. Dies verkündete Hurd nach seinem Besuch der vietnamesischen Flüchtlingslager in Hongkong, wo er sich seit Samstag aufhält. Gewöhnlich gut unterrichtete Quellen gehen davon aus, daß in den kommenden Wochen nicht weniger als 2.000 der bereits ausgewählten Personen auf den Rückweg nach Hanoi geschickt werden könnten.

Das britische Außenministerium sah sich in seinem Vorhaben bestätigt, als Statssekretär Timothy Raison und der prominente Labour-Angehörige und Vorsitzende des britischen Flüchtlingsrates, David Ennals, ihren unabhängigen Bericht zur Situation repatriierter Flüchtlinge in Vietnam vorlegten. Eilig kehrten die beiden erst am Donnerstag vergangener Woche nach Großbritanien zurück, um Douglas Hurd noch vor seiner Abreise nach Hongkong ins Bild zu setzen. Während ihres Aufenthalts in Vietnam hatten sie die 51 kurz vor Weihnachten gegen ihren Willen nach Vietnam deportierten Flüchtlinge und viele andere freiwillig Zurückgekehrte zu ihrer Situation befragt. Der Bericht sollte einen positiven Eindruck von der vietnamesischen Reaktion auf die Flüchtlinge vermitteln.

Demgegenüber befürchten Mitarbeiter der Vereinten Nationen in Hongkong, daß ihre bislang verhältnismäßig erfolgreichen Versuche, die Flüchtlinge zur freiwilligen Rückkehr zu bewegen, durch eine Fortsetzung der britischen Zwangsmaßnahmen gefährdet werden.

Die Hanoier Regierung weigerte sich denn auch die jüngst unterbreitete Namensliste der Kandidaten für eine solche Zwangszurückführung zu akzeptieren.

996 Vietnamesen konnten in diesem Rahmen während der letzten sechs Monate zur Rückkehr bewegt werden. „Wir haben ein regelmäßiges Programm aufstellen können“, sagt Charles Bazoche, Chef des UNHCR in Hanoi. „Derzeit gehen zwei Flüge monatlich, einen dritten hoffen wir demnächst einrichten zu können.“ Im letzten Quartal 1989 beantragten 150 Flüchtlinge in Hongkong beim UNHCR freiwillig ihre Rückkehr nach Vietnam. „Allein in den ersten zehn Januartagen meldeten sich 354 Personen.“ Die Kostenübernahme für 8.000 Menschen hat das UNHCR in diesem Haushalt veranschlagt, inoffiziell geht man sogar von 10.000 Rückreisen aus. Was also erwartet diese Menschen, wenn sie freiwillig nach Vietnam zurückkehren?

Die Geschichte

von Nguyen Than Van

Nguyen Than Van, eine 28jährige Apothekerin, zählt zu denen, die im Oktober freiwillig nach Hanoi zurückgekehrt sind. Nachdem sie 12 Monate in einem Durchgangslager in Hongkong ausgeharrt hatte, entschied sie sich angesichts schier unerträglicher Lebensbedingungen dieses Risiko einzugehen. „Schlimmer als dieses Gefangenenleben in Hongkong konnte es gar nicht mehr kommen“, erklärt sie ihre Entscheidung. „Ich fühlte mich nicht nur steter Diskriminierung unterworfen, ich war den Schlägen der Wächter ausgeliefert, was wohl das Schlimmste war. Die Lebensbedingungen waren schrecklich, die hygienischen Einrichtungen beschränkt. Es gab nichts, was man hätte unternehmen können, ich hatte nicht einmal ein Buch zu lesen.“

Nguyen bezahlte also dem Bootskapitän 500 Dollar für einen monatelangen Trip ins Ungewisse. „Man hatte uns gesagt, in diesem Preis sei neben der Passage auch Verpflegung inbegriffen. An Bord stellten wir fest, daß es keinerlei Proviant für uns gab. Viele von uns hatten für den Notfall etwas zu essen mitgenommen, doch diese Vorräte waren schnell verbraucht.“ Nguyen und ihre 27 Leidensgenossen überlebten, weil das Schiff einige Male an die chinesische Küste getrieben wurde, wo die Passagiere sich Nahrung von chinesischen Bauern erbetteln konnten.

Nguyen kommt aus einer zerrütteten Familie. Nach der Scheidung ihrer Eltern Ende der 70er Jahre blieb sie bei ihrem Vater. Ihre chinesische Mutter und eine Schwester flohen 1979 aus Ho Chi Minh Stadt und leben heute in London. Als kurz darauf der Vater sich wieder verheiratete und Nguyen im Hause störte, ging sie nach Hanoi, wo sie bei einer anderen Schwester Unterschlupf fand. Nachdem auch ihre Schwester sich verheiratete, wünschte sich Nguyen, wieder mit ihrer Mutter zusammen zu leben. Fünf Jahre lang mußte sie in der Apotheke eines Hanoier Krankenhauses arbeiten, bis sie das Geld für die Reise zusammengespart hatte. Dann machte sie sich auf die gefährliche Seereise.

Auch heute lebt sie wieder bei ihrer Schwester in Hanoi, doch noch immer wünscht sie, mit der Mutter wieder vereint zu sein. „Jetzt versuche ich alle legalen Wege“, sagt sie. In der Zwischenzeit hat sie sich ziemlich problemlos in ihrer Gemeinde wieder eingelebt. „Die Nachbarn haben mich willkommen geheißen, sie haben mich mit ihrer Großzüggkeit direkt in Verlegenheit gebracht.“ „Sie tut uns allen wirklich leid“, sagt einer der Nachbarn, „wir hoffen alle, daß sie bald zu ihrer Mutter kann.“

Auf der Flucht vor

sozialen Problemen

Als die 27jährige Frau Pham Thi Bach Tuyet kürzlich mit ihrem achtjährigen Sohn aus Hongkong nach Haipong zurückkehrte, zeigte sich ihre Familie überaus erfreut. Allerdings hat man ihr noch nicht vergessen, daß sie mit ihrem Mann und dem einzigen Enkel die Flucht angetreten hatte, ohne die Familie zu benachrichtigen. „Sie hätten sicher versucht, es mir auszureden“, sagt Frau Pham, „vielleicht sogar die Behörden von unseren Plänen informiert, wenn wir nicht auf sie gehört hätten.“ Sechs Jahre lang hatte ihr Mann in der UdSSR anfangs als Arbeiter und später als Übersetzer sein Brot verdient. Das Ehepaar hatte sich unterdessen auseinandergelebt. Nur zwei Wochen lang hatten sie sich gesehen, als der Mann 1984 auf Weihnachtsurlaub kam.

Als er Anfang 1989 zurückkam, da stand sein Entschluß, Vietnam zu verlassen, bereits fest. Er werde nach Hongkong gehen und den Sohn mitnehmen, erklärte er seiner Frau. Frau Pham bestand darauf mitzugehen und konnte sich schließlich durchsetzen, nachdem er sie einen Bluteid hatte schwören lassen, niemandem, vor allem nicht ihren Eltern, etwas zu erzählen. Im Mai 1989 brachen sie nach Hongkong auf. Die Passage wurde von dem Geld bezahlt, das sie mit in die Familie gebracht hatte.

Kaum waren sie da, gestand er ihr, er habe eine Freundin, die er heiraten wolle, sobald auch sie in dem Lager angekommen sei. „Er verhielt sich unmenschlich mir gegenüber“, erinnert sie sich heute, „gelegentlich schlug er mich sogar. Ich mußte eine erneute Schwangerschaft abbrechen. Unmittelbar nach unserer Ankunft in Hongkong wußte ich, welch großen Fehler ich begangen hatte. Aber ich hätte doch niemals meinen Sohn verlassen können. Und das wußte mein Mann. „Als man mir dann im UNHCR-Büro sagte, der Junge könne mit mir zurück und müsse nicht bei seinem Vater bleiben, da beantragte ich sofort die Rückkehr.“

Laut UNHCR-Personal in Hanoi sind diese zwei Schicksale typisch für viele Rückkehrer, deren Fälle sie erleben. In einem Land, wo es keinerlei Grundlagen für Sozialarbeit gibt, haben Eheprobleme schon oft zu verzweifelten Handlungen geführt. Auch der Fall einer anderen Frau ist bekannt, die mit ihrer jugendlichen Tochter floh, weil die Ehe zu zerbrechen drohte. Nach einem Versuch des UNHCR -Büros, eine Eheberatung zu leisten, konnte die Familie in Vietnam wieder zusammengeführt werden.

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