: Totenruhe empfindlich gestört
■ Sinti halten Nachtwache auf Friedhöfen in Bremen / 17 Gräber von Unbekannten geschändet
Ein Friedhof in Bremen. Seit dem 29. Dezember ist die Totenruhe gestört.
Unbekannte Täter haben abends oder nachts randaliert, Grabsteine aufeinandergedonnert und umgeschmissen, Grablampen und eine zarte Muttergottes aus Marmor gestohlen. „Manche älteren Damen weinen, wenn es schon zum zweiten oder dritten Mal passiert ist“, erzählt der Mitarbeiter des Gartenbauamts, der diesmal bereits 17 Strafanzeigen gestellt hat.
Anderen Angehörigen tue es eher leid um das viele Geld, das ein neuer Granitstein koste. Der Friedhofs-Mitarbeiter kann „diesmal kein System“ in den
Grabschändungen erkennen, in früheren Jahren hätten es die Täter meistens auf solche Gräber abgesehen gehabt, „wo Kreuze auf dem Stein sind“. Auch Urnen waren früher gerne aus der lockeren Erde neuaufgeworfener Gräber entwendet worden.
An die Presse gewandt hat sich jetzt der Bremer Sinti -Verein. Denn bei den über 2.000 Bremer und Bremerhavener Sinti werden, so ihr Vorsitzender gestern, „die Toten sehr in Ehren gehalten“. Das gehöre genauso zur Kultur der Sinti wie der Zusammenhalt der Großfamilie oder die Achtung vor dem Alter. Zwar sind unter den 17 beschädigten Grabstellen diesmal nur zwei Sin
ti-Gräber, doch trifft der Schaden die Sinti besonders hart: Zum einen, weil sie in den Vorjahren schon häufig die Leittragenden waren („immer bei uns“, sagt der Vorsitzende) und zum anderen, weil sie ihre Toten mehr ehren, als die „hiesigen Deutschen“.
So lassen Sinti ihren Toten besonders wertvolle Granit -Grabsteine in Holland anfertigen, so schmücken sie die Gräber im Sommer mit üppig-lebendiger Blumenpracht oder im Winter mit batteriegetriebenen Lichterketten Weihnachtsbäumen und so besuchen sie ihre Toten jeden oder spätestens jeden zweiten Tag, um die Blumen oder die Kerzen in den „ewigen Lampen“ zu
erneuern. Das Verhältnis zu den Toten ist eng und herzlich; war der Verstorbene etwa ein leidenschaftlicher Raucher, dann wird für ihn der Besucher selbstverständlich eine Zigarette am Grab anzünden und zum Verqualmen in die Erde stecken.
Nach den letzten Vorfällen haben die Bremer Sinti die ewigen Lichter auf dem betroffenen Friedhof bereits gelöscht, um die Gräber unauffälliger zu halten. Auch bewachen die Angehörigen neuerdings abwechselnd abends und nachts den Friedhof. Der, der die Reporterin über die Grabstätten führt, sagt verbittert: „Noch nicht mal die Toten haben Ruhe.“
Barbara Debus
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