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TO PLAY OR NOT TO PLAY

■ Freie Szene in der DDR - Das entideologisierte Theater von Jo Fabian

In den letzten Jahren verstärkt sich immer mehr der Eindruck, daß freie Theatergruppen überlebt sind. Die westliche Off-Theaterszene scheint in einem Subventionierungssumpf zu versinken. Kollektive Selbstfindung in der Kunst, von den 68ern ausgegangen. Pervertiert angesichts der großzügigen Unterstützungen durch den Senat zur puren Freizeitbeschäftigung. Das existentielle Moment, einst Credo dieser Bewegung, hat sich mittlerweile vollkommen verflüchtigt.

Andere Prämissen machten bisher in der DDR entstehendes freies Theater interessant. Hier bezog sich das Wort frei eher auf die von Institutionen unabhängige Produktion von Kunstwerken als auf psychotherapeutisch orientierte Gruppenbefreiung. Selten wurde hier an der notwendigen Arbeitsteilung gerüttelt, man begriff Theaterproduktion durchaus als nichtdemokratischen Prozeß, in dem ein Regisseur seine Ideen durchsetzen muß. In den Inszenierungen freier DDR-Theatergruppen ging es meist um eine Erweiterung von Theater, um Auflösung von Tabuzonen, die das Stadttheater mit seinen zensurwütigen Funktionären und den dazugehörigen Strukturen schuf. Das änderte sich mit dem derzeitigen gesellschaftlichen Umbruchprozeß in der DDR nicht im mindesten. Einzig zählbares Resultat der „Wende“ war bis jetzt, daß freie Theatergruppen in der DDR nicht mehr von vornherein kriminalisiert werden, aber gesetzliche Regelungen für ihre Zulassung gibt es dennoch bis heute nicht.

Neben der Theatergruppe „Zinnober“ schaffte es nur Jo Fabian, in diesem Bereich überregionale Bedeutung zu erlangen. Für ihn ist die unabhängige Produktion insofern eine Notwendigkeit, als es ihm in erster Linie um entideologisierte Kunst geht. Und die Struktur der DDR -Theater wurde sozusagen für eine Ideologisierung der Kunst ausgelegt, sieht man von wenigen durch individuelles Engagement des Intendanten geschaffenen Enklaven ab.

Fabians Arbeitsweise bezieht sich auf eine konsequente Umwertung in der Realität gefundener Vorgänge. Für ihn sind die Formen das Primäre, sind Voraussetzung jeglichen Inhalts. Sie ermöglichen ihm Konstruktionen, in denen sich dann Inhalte anders ordnen. Hierzu verwendet er vornehmlich nicht von Macht besetzte Sprachen. Ihn interessiert, was außerhalb der Sprache stattfindet, wie Kommunikation mit Gesten und Lauten funktioniert - die Sprache, die nicht sprechbar ist. In Fabians Inszenierungen erscheint „Handlungszwang wichtiger als Handlung, die Figuren rennen den Konflikten nach, kommen zu früh oder zu spät oder sterben zur unrechten Zeit“, wie er selbst einmal in einem Interview sagte. Der ehemalige Schauspieler Fabian hat eine zur Theaterentwicklung in der DDR konträre Herangehensweise. Seine Figuren agieren in einem Raum der Kälte. Katharsis hat auf dem Theater keinen Platz. Emotionalität wird wieder möglich, indem sie auf der Bühne fehlt. Es reihen sich Bilder aneinander, Vorgänge werden dekonstruiert, wiederholt, Affinitäten zu Bob Wilson sind deutlich, die Figurensprache erinnert an asiatische Bewegungsformen, an „slow motion“. Es verwundert nicht, daß Fabian sich vornehmlich eigene Stücke zur Inszenierung vorlegt. Wenn er bereits verfaßte Theaterstücke zur Aufführung bringt, wie beispielsweise Brechts Baal, dann in so bearbeiteter Form, daß die Textvorlage zur Inszenierung bereits wieder Fabians Stück selbst ist. Sein wohl bekanntester Theatertext heißt Prometheus. Doch demonstriert Fabian bei seiner Inszenierung Example No. P, wie unverbindlich selbst seine eigenen Texte auf dem Theater für ihn sind. Dieses Projekt wurde durch die Zusammenarbeit des Landestheaters und des Bauhauses Dessau realisiert, das im übrigen Fabians derzeitige Wirkungsstätte darstellt. Durch eine Reichhaltigkeit der sich wiederholenden Bühnenvorgänge, die Assoziationsbreite der Bilderwelt und nicht zuletzt die Einspielung des Textes über Ton sowie dessen Unterbrechung durch grammatikalische Anweisungen aus dem Duden bekommt sein Prometheustext in Example No. P Beliebigkeit.

Fabians Interesse an „Technik und Geheimnis“ verbindet sich dem an Kafkas Texten. Als Zuschauer seiner Inszenierungen kommt man sich des öfteren vor wie in Kafkas Schloß, das seine Faszination nun aus den Phänomenen der heutigen, technisierten Welt schöpft. Fabians Kunstwerke atmen die Kälte einer utopielosen Weltbetrachtung und sind immer mit der Dimension unserer Welt aufgeladen, sei sie nun voller Bedeutung oder bedeutungsleer. Genau über so eine Betrachtungsweise, die an den Formen der Welt Interesse zeigt, um sie in der Kunst neu montieren zu können, kommt Fabian dazu, Inhalte unverbindlich darzustellen. Ein schier prophetischer Text von Fabian sagte den Sturz der DDR -Regierung vorher, als diese sich noch fest im Sattel wähnte. In Die Idioten schrieb er, das Ende des SED -Diktatur betreffend: „Wir wählten einen Freitag im Oktober.“ Fabian sah die Überkommenheit der Form dieser Regierungsführung und damit erübrigte sich für ihn automatisch deren Inhalt. Der nach diesem Oktobertag eingetretene chaotische Gesellschaftszustand in der DDR fällt auf bestimmte Weise mit Fabians Theater zusammen. Nur im Chaos werden die augenblicklichen Ereignisse, die Bilder, wichtig, muß der naiv-gesunde Menschenverstand benutzt werden, weil alle Transzendierung des Jetzt versagt. An diesem Punkt scheint gesellschaftlich etwas von der Entideologisierung erreicht zu sein, die Fabian theatralisch anpeilt.

Zur Zeit probt Fabian im Dessauer Bauhaus mit seiner freien Theatergruppe „Theater-AG“ an einem Stück, das er to play or not to play nennt. Diesen Titel könnte man als eine Art Kernsatz seiner Theaterarbeit bezeichnen. Denn für Fabian besteht Shakespeares Frage nach Sein oder Nichtsein gar nicht, für ihn bedeutet das Sein Spiel mit Formen, Nichtspielen setzt er gleich mit Unbeweglichkeit, Tod, Nichtsein.

p.c.k.

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