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Sachsens SPD im Sauseschritt zur Wahl

Die DDR-SPD bietet auf ihren Wahlveranstaltungen griffige Lösungen für schwierige Probleme / Keine Experimente - lieber Altbewährtes / Der Begriff „Sozialismus“ geht bei der SPD „zur Zeit wahlkampfmäßig nicht“ / Neues Forum applaudiert  ■  Aus Karl-Marx-Stadt M.Rediske

Den sächsischen Sozialdemokraten kann der Wahlkampf gar nicht schnell genug beginnen. Warum auch nicht: reiten sie doch gerade so schön auf der Sympathiewelle, die ihnen die Umbenennung von SDP in SPD und der Besuch von Jochen Vogel und Johannes Rau eingebracht haben. Also, nichts wie ausgeschwärmt.

Dienstag abend. Die Ortsgruppe von Freiberg, Kreisstadt in den Ausläufern des Erzgebirges in der Mitte zwischen Dresden und Karl-Marx-Stadt, hat ihren Vorsitzenden Rüdiger Wittenburg und zwei andere Kollegen in das 15 Kilometer entfernte Oederan geschickt. Im Kulturhaus des 10.000 -Einwohner-Städtchens drängelt man sich zwar nicht, aber immerhin: an die fünfzig Zuhörer füllen die Stuhlreihen des Theatersaales, als die „Initiative zur Gründung einer SPD -Ortsgruppe Oederan“ um 19 Uhr eröffnet wird.

Ein Vortragsabend mit anschließenden Fragen und Antworten. So ist es vorbereitet, und die Zuhörer - in der Mehrzahl Männer aller Altersgruppen - sind offenbar zufrieden. Man wartet, daß etwas geboten wird. Und da ist die SPD allen Konkurrenten klar voraus: Sie bringt Probleme und Lösungen in griffige Formeln. „Leistungsgerechtigkeit und eine solidarische Gesellschaft“, preist Jörg Wittenburg, Anfang vierzig und mit blondem Vollbart ausgestattet, als „neue Werte“ an. Daß alte Privilegien dabei nicht mehr zählen, kleidet er in die populäre Forderung, dem abgehalfterten Politbüro sei die von ihm selbst eingeführte Mindestrente auszuzahlen. Da kommt vorsichtig-kurzer Beifall unter den Zuhörern auf, die trotz des geheizten Saales allesamt ihre Winterjacken anbehalten. Danach gleicht die Atmosphäre wieder der eines Lichtbildvortrags. Das Publikum erinnert so gar nicht an selbstbewußt demonstrierende Bürger. Auch in Freiberg haben schließlich vor einer Woche mehrere tausend Menschen Parolen gegen die SED gerufen, eingeladen hatten die Sozialdemokraten.

Sozial statt sozialistisch

An diesem Abend aber hören sie erst einmal interessiert zu, wenn ihnen „sozial statt sozialistisch“ angeboten wird und nach vierzig Jahren, die man als Versuchskaninchen verbracht habe - „die Übernahme von Wirtschaftsmethoden, die sich eindeutig bewährt haben“.

Welche bewährten Methoden das sind, erklärt der nächste Redner. Dr.-Ing. Bernd Löscher arbeitet am Brennstoffinstitut in Freiberg. Erst veranschaulicht er den Bankrott der Plan- und Braunkohlewirtschaft: „Freiberg liegt wie Oederan in einer Senke, und wenn ich morgens aus dem Fenster sehe, dann guckt nur der Kirchturm aus der Brühe raus.“ Energieverschwendung, staatlich hoch subventioniert. Dagegen hilft „als Radikalkur“ die soziale Marktwirtschaft. Das heißt für den Energieexperten aber auch: „Man kann nicht arbeiten wie in der DDR und leben wie in der BRD.“ Wer an dieser Stelle Angst vor Rationalisierung und Arbeitslosigkeit bekommt, wird gleich beruhigt: „Das soziale System drüben ist immerhin so gut, daß noch kein Arbeitsloser in die Planwirtschaft übergewechselt ist.“ Das gibt wieder einen Lacher. Nur einen Zuhörer stört es später, daß „die SPD ja mit all dem nichts anderes sagt als vorher schon das Neue Forum“.

Doch die SPD hat verstanden, daß Mainstream und nicht Originalität gefragt ist, wenn sie am 6.Mai stärkste Partei werden will. Keine mühselige Suche nach einer neuen Gesellschaft, keine Aufbruchstimmung, sondern der Griff nach Bewährtem, Bekanntem. Die Reformsozialisten der SED-PDS werden denn auch ganz routiniert abgefertigt: Sie sollen sich, sagt Wittenburg, „entscheiden, ob sie Kommunisten sein wollen oder Sozialdemokraten“. Im privaten Kreis sagt er dann, man wolle „der SED den Begriff Sozialismus nicht überlassen“ - aber ihn im Moment zu verwenden, „geht wahlkampfmäßig nicht“.

Applaus vom Neuen Forum

Ganz auf Wahlkampf eingestellt ist man auch zwanzig Kilometer weiter, im SPD-Hauptquartier des Bezirks Karl-Marx -Stadt. Zu Beginn der Woche hat die Partei drei kleine Büroräume im obersten Stockwerk eines Hochhauses gleich hinter dem Karl-Marx-Denkmal bezogen, das vorher SED und Staatsorganen allein vorbehalten war. Vorstandsmitglied Rainer Klis, 34 Jahre alt und von Haus aus Schriftsteller, soll von hier aus die Öffentlichkeitsarbeit ankurbeln.

Noch sitzt er etwas verloren vor drei Resopalschreibtischen, auf denen neben einem Stapel Schriften der West-SPD (darunter das Handbuch der Parteiarbeit vor Ort) und einem überquellenden Aschenbecher nur noch ein Komforttelefon steht. Mit dessen roten, grünen und gelben Lämpchen hat er an diesem zweiten Arbeitstag so seine Schwierigkeiten hat.

Mehr Kopfzerbrechen macht dem Presseverantwortlichen aber, wie er die Vorstellungen der Partei unters Publikum bringen kann. Neben einem gerade gestarteten parteiunabhängigen 'Wochenblatt‘ mit 25.000 Auflage gibt es bislang nur die Noch-SED-Zeitung 'Freie Presse‘. Die Lizenz für eine eigene Zeitung bekäme man zwar - aber wie die „jetzt im Wahlkampf“ auf die Beine stellen?

Fürs erste ist Rainer Klis froh, wenn er die der SPD zuzstehende wöchentliche Seite in der „Freien Presse“ füllt. Für diese Woche hat er noch keinen einzigen Artikel, aber „gottseidank gibt es ja die Schwesterpartei“ im Westen, er wird wohl etwas aus einer Broschüre zur SPD-Geschichte ins Blatt hieven. Die Tradition ist schließlich auch das große Plus der einst in Sachsen führenden Arbeiterpartei, deren Stimmenanteil bei den Reichstagswahlen hier in den zwanziger Jahren stets zwischen 32 und 36 Prozent lag.

Attraktiv geworden ist die SPD inzwischen auch für Reformsozialisten, die bis vor kurzem der SED angehört haben. Zu den neuen Mitgliedern, so berichtet Klis, zählen drei Kombinatsdirektoren, und an der Technischen Universität begründet ein überzeugter Marxist, warum er an einen Übertritt denkt: „Uns steht jetzt eine lange kapitalistische Epoche bevor. Da braucht es starke Gewerkschaften - und eine SPD mit linkem Flügel.“ Auch im Neuen Forum kann sich so mancher einen De-facto-Anschluß vorstellen. Nachdem auf der SPD-Veranstaltung in Oederan die Vorträge gehalten sind, stellt sich im Publikum ein Herr Schramm vor. Als Sprecher des lokalen Neuen Forums begrüßt er, daß die SPD hier versucht, Fuß zu fassen, und „kann alles, was hier gesagt wurde, unterstützen“. Fast schon begeistert spricht er von der „Möglichkeit, daß das Neue Forum dazu auffordert, am 6.Mai die SPD zu wählen“. Wenn es unter dem Dach der SPD so einfach geht - wer soll sich da noch um ein Bündnis der gesamten Opposition bemühen?

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